NATO ACE High, Station D.

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Als ich zum ersten Mal über einen Bericht zum Thema „NATO ACE High“ stolperte und die Bilder der ehemaligen Sende- und Empfangsstationen sah, wusste ich sofort: „Da muss ich eines Tages hin“. Nach einiger Vorbereitung stand ich endlich auf einem Berggipfel in den italienischen Voralpen, blickte auf die surrealen Antennenkonstruktionen der „Station D.“ und betrat einen der letzten noch existierenden Standorte eines ehemals streng geheimen Kommunikationsnetzwerkes der NATO.

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Es war angenehm warm, als ich an einem schönen Herbsttag auf einer kleinen Passstraße irgendwo in den italienischen Voralpen unterwegs war. Vermutlich würden die Betreiber der nahen Skigebiete auch in diesem Jahr keine Schneemassen zu erwarten haben. Die mehr schlecht als recht instand gehaltene Straße wand sich schon seit vielen Kilometern durch dichte Wälder nach oben, dann war ich an der Baumgrenze vorbei. Ab nun gab es nur noch die für diese Gegend typischen Graslandschaften zu sehen. Und mitten in dieser Idylle sollte sich ein Relikt aus dem Kalten Krieg befinden, eine gigantische Sende- und Empfangsstation eines ehemals streng geheimen Kommunikationsnetzwerkes der NATO: Deckname „ACE High“.

1956 beauftragte das europäische Oberkommando des Nordatlanktikbündnisses, das Allied Command Europe (ACE), das britische Unternehmen Standard Telephones and Cables Limited (STC) – damals Marktführer im Bereich Telekommunikation – mit der Errichtung eines fast 7.000 Kilometer langen Kernnetzes, das alle NATO-Mitgliedsstaaten Westeuropas (damals 15 an der Zahl) miteinander verbinden sollte. Alle wichtigen NATO-Standorte sollten abhörsicher per Telefon, Fernschreiber und Computer kommunizieren und im Notfall den Gegenschlag gegen den Warschauer Pakt koordinieren können.

In den 1950er und 1960er Jahren gab es noch keine Kommunikationssatelliten und die Verlegung von Tausenden von Kilometern von Kabeln für ein privates NATO-Netzwerk wäre viel zu teuer gewesen. Man sah daher ein Netzwerk aus 82 Haupt- und Nebenstationen mit dazwischen verlaufenden Richtfunkstrecken vor. Die Hauptstationen würden Daten zwischen den benachbarten Nachbarstationen weiterleiten und damit den Informationsfluss in alle Richtungen sicherstellen. Um die Distanzen zwischen den Hauptstationen möglichst groß ausfallen lassen und Kosten sparen zu können, würden die Stationen bevorzugt auf Hügeln und Bergen errichtet werden und mit besonderen „Troposcatter“-Antennensystemen ausgestattet sein.


1958 errichtete man in Norwegen ein Testnetz aus vier Stationen, welches dann – in für heutige Verhältnisse unfassbar kurzen drei Jahren – bis 1961 zum Vollausbau erweitert wurde. Die Hauptachse des Systems verlief von Nordnorwegen über die Shetland-Inseln, Schottland und die britische Graftschaft Kent bis zum NATO-Hauptquartier in Paris, und dann über Nizza, Italien und Griechenland bis in die Osttürkei. Parallel dazu gab es eine Nebenroute von Norwegen über Dänemark und Westdeutschland nach Paris, sowie weitere redundate Segmente.

Über die Shetland-Inseln, Island und Grönland schuf man zudem eine Verbindung mit den existierenden Kommunikationsnetzen der nordamerikanischen Verbündeten. Egal, welchen Lauf der Kalte Krieg in den kommenden Jahren nehmen würde – die Kommunikationswege zwischen den westlichen Verbündeten waren nun kurz, zuverlässig und gesichert.

Italien kam im ACE-High-Netzwerk eine ganz besondere Bedeutung zu. Gleich 19 Stationen, darunter sieben Hauptstationen, wurden im Land betrieben. Im Norden mussten die Alpen überwunden werden, im Süden in Richtung Griechenland das Mittelmeer. Möglich war das damals nur mit riesigen Antennensystemen in großer Höhe. So kam es auch zum Bau der Station D. in den italienischen Voralpen, zu welcher ich gerade auf dem Weg war. Und tatsächlich: Schon von Weitem konnte ich die beiden Troposcatter-Reflektoren auf dem Berggipfel sehen.

Tropospheric Scatter

Die Hauptstationen des Netzwerks lagen jeweils bis zu 300 Kilometer voneinander entfernt. Trotz der Lage in großer Höhe wären diese Distanzen auch mit sehr hohen Masten kaum zu überbrücken gewesen, denn handelsübliche Mikrowellenverbindungen funktionieren nur „auf Sicht“. Wenn Berge, Hügel oder die Erdkrümmung die freie Sicht zwischen den Antennen versperren, kommt keine Verbindung zustande. Die NATO setzte daher auf das Tropospheric-Scatter-System.

Bei dieser Technik schickt der Sender das Signal nicht in direkter Linie zum Empfänger, sondern in die in 8 bis 15 Kilometern über der Erdoberfläche gelegene Troposphäre. Der größte Teil der Sendeleistung geht ins All und ist damit verloren, aber in der Troposphäre ist immer etwas Feuchtigkeit vorhanden an welcher das Signal gestreut (engl. to scatter, daher der Name) wird. Ein winziger Teil der abgestrahlten Energie wird nach unten in Richtung Empfänger reflektiert und wird dort von großen Reflektoren gesammelt, fokussiert, zu einer Empfangsantenne umgelenkt und verstärkt. Die Reflektoren erfüllen die selbe Funktion wie die sogenannten „Satellitenschüsseln“ für den Fernsehempfang.

Die Reflektoren müssen sehr genau aufeinander ausgerichtet und der Sendestrahl sehr stark gebündelt sein, damit die Übertragung funktioniert. Obwohl die tatsächliche Sendeleistung der Systeme nur 10 bis 50 Kilowatt betrug, weniger als die vieler UKW-Radiosender, lag die effektive Sendeleistung (EIRP) bei bis zu 10 Megawatt. Durch die extreme Richtwirkung war es für den Feind auch kaum möglich das Signal abzuhören, womit – neben der hohen Reichweite – eine zweite Forderung der NATO gleich mit erfüllt werden konnte.

Technikgebäude mit den beiden Sende-/Empfangsmasten

Die beiden Stahlmasten mit den Sendern/Empfängern waren noch sehr gut in Schuss, einem kleinen Ausflug nach oben stand daher nichts im Wege. Die aus Fiberglas gefertigten Antennengehäuse zeigten in die Mitte der knapp 20 Meter hohen Reflektorspiegel und mussten so ausgerichtet werden, dass das Signal am Ende genau beim Empfänger – in diesem Fall die Gegenstelle auf dem Feldberg in Deuschland – ankam.

Da die Verhältnisse in der Troposphäre ständig wechseln, kommt es immer wieder zu zufälligen Unterbrechungen einzelner Ausbreitungswege. In der Praxis verwendete man daher nicht nur je eine Antenne und einen Reflektor auf Sender- und Empfängerseite, sondern zwei leicht voneinander versetzte Installationen. Zusätzlich konnte die Polarisation des Signals auf jeder Seite von vertikal auf horizontal umgeschaltet werden. Es gab also insgesamt vier leicht unterschiedliche Ausbreitungspfade, von welchen es einer immer sicher durch die Troposphäre schaffen würde.

Auf Empfängerseite konnten durch die mehrfach empfangenen Signale auch Störungen „herausgerechnet“ und das Signal so verbessert werden. Durch die Redundanz war es zudem möglich, einzelne Bauteile und Reflektoren warten zu können ohne das System außer Betrieb nehmen zu müssen. Ältere NATO-Dokumente weisen eine Verfügbarkeit von 99,99 Prozent aus.

Zeit für einen Blick ins Allerheiligste, dem Technikgebäude – oder zumindest dem, was davon noch übrig war. Die eigentliche Kommunikationstechnik hatte die NATO wohl bereits beim Auszug mitgenommen, danach hatten sich Metalldiebe und Vandalen bedient. Teile der alten Klimaanlagen war aber noch vorhanden.

Die Bezeichnung „ACE High“ leitete sich vermutlich vom verwendeten Frequenzbereich von 832 bis 959 Megahertz ab. In den 1960er Jahren galten Frequenzen über 500 Megahertz noch als sehr hoch. Heute arbeiten z.B. WLAN, Satellitenfernsehen und Mobilfunk mit deutlich höheren Frequenzen im Gigahertz-Bereich.

Zuleitungsschacht zu den Antennenmasten

Mikrowellenantenne für die Sichtfunkverbindung mit einer anderen Station

Die NATO war mit ihren Tropospheric-Scatter-System nicht allein, ähnliche Kommunikationsnetzwerke gab es in vielen Regionen. Die Rote Armee betrieb etwa das System SEVER, der Warschauer Pakt das System BARS mit Stationen von Moskau bis nach Rostock in der früheren DDR. Zivile Telekommunikationsanbieter wie British Telecom, Portugal Telecom und AT&T benutzten die Technik beispielsweise für die Anbindung von entfernten Inseln und Ölbohrinseln. Bei einigen Militärs waren auch mobile Sende- und Empfangsanlagen im Einsatz.

Gang zwischen Technikgebäude und Hauptgebäude

Eine typische Hauptstation mit zwei oder mehr Tropospheric-Scatter-Antennensystemen war mit etwa einem Dutzend Technikern besetzt die rund um die Uhr in Schichten für einen zuverlässigen Betrieb sorgten. Die Ausbildung fand in der 1959 speziell für ACE High gegründeten NATO Communications and Information Systems School (NCISS) in Latina, Italien statt. Dieses Schulungszentrum bildet auch heute noch NATO-Telekommunikationstechniker aus.

Die Unterbringung der Mannschaft erfolgte in einem zweistöckigen Gebäude. Besonders in der Wintermonaten muss es hier oben unglaublich kalt und langweilig gewesen sein. Sämtliche Inneneinrichtung war entfernt worden, dafür hatte jemand einen Wohnwagen in der Garage geparkt.

Zwischen Technikgebäude und Wohnquartier lag das Versorgungsgebäude mit Dieselaggregaten, Brennstofftanks, Heizungsanlagen, Klimatechnik und weiteren Räumen.

Generatorhalle
Brennstofftank
Ölheizungen

Innenseite des Aussichtsturms für die Wachmannschaft

Auf der anderen Seite des Geländes, direkt neben dem Zufahrtstor, befand sich ein Transformatorhäuschen. Dieses schien allerdings erst später errichtet worden zu sein und lag sogar teilweise außerhalb des Zauns. Verschiedene Daten auf Schildern und Zetteln ließen darauf schließen, dass zuletzt im Jahr 2011 Geräte installiert wurden um eine Basisstation eines Mobilfunkanbieters zu betreiben. Diese schien aber auch schon länger nicht mehr in Betrieb gewesen zu sein.

Mittelspannungstransformator
Schaltschränke

Die 1970er Jahre brachten große Veränderungen für ACE High mit sich. Die ersten Telekommunikationssatelliten wurden ins All geschossen, die Telefon- und Datennetze Westeuropas wurden ständig weiter ausgebaut und boten immer höhere Kapazitäten zu niedrigen Preisen. Zugleich gab es Fortschritte bei der Entwicklung von Verschlüsselungstechnologien.

Statt ACE High weiter auszubauen, band die NATO zunehmend die zivilen und militärischen Satelliten- und Telefonnetze der Mitgliedsstaaten in das System ein. Der Hauptgrund dafür lag in den enormen Kosten für die Versorgung und Bewachung der Stationen. Station D. in Italien befand sich noch vergleichsweise nahe an der Zivilisation, das nächste Dorf liegt nur einige Kilometer weiter unten im Tal. Viele Stationen in Norwegen, Alaska oder auf den Shetland-Inseln mussten hingegen regelmäßig per Schiff oder sogar aus der Luft mit Lebensmitteln und Treibstoff versorgt werden.

Im Jahr 1991 ließ die NATO schließlich einen eigenen Satelliten namens „IV-A“ in einen Orbit bringen, 1993 folgte der Schwestersatellit IV-B. Zusammen mit weiteren Satellitensystemen der NATO-Partnerländer Italien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich stand nun ein deutlich leistungsfähigeres Kommunikationssystem zur Verfügung, das nicht mehr auf ein Netz von Richtfunkstrecken angewiesen war und auch von mobilen Stationen am Boden, in Flugzeugen und auf Schiffen aus genutzt werden konnte.

Der finale Todesstoß for ACE High kam schließlich nicht von militärischer, sondern von ziviler Seite. Die Zuteilung der genutzten Frequenzbänder war 1958 für eine Dauer von 40 Jahren erfolgt und hätte spätestens 1998 verlängert werden müssen. Die Frequenzbänder lagen allerdings genau in dem Frequenzbereich der in den 1990ern für den Aufbau des neuen Mobilfunksystems GSM benötigt wurde. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Staaten an einer schnellen Abschaltung der teuren, veralteten Stationen noch vor Ablauf der 40 Jahre interessiert waren.

Bei einem Treffen im Jahr 1995 beschloss man die Abschaltung von ACE High schon für das darauffolgende Jahr. Einige Stationen wurden mit Satellitenantennen ausgerüstet und sind heute noch aktive Militärinstallationen. Viele (z.B. jene in Deutschland und England) wurden zurückgebaut und verkauft, manche – besonders jene in Italien – einfach sich selbst überlassen.

 

Am Ende meiner Erkundungstour war die Sonne bereits untergegangen. Ich drehte noch mal eine kleine Runde um das Gelände und genoß den großartigen Ausblick auf die umliegenden Berge. Angeblich will der Betreiber der lokalen Skipisten das Gelände kaufen und hier oben einen Aussichtsturm errichten. Das verwundert mich nicht. Selten hat man von einem Relikt des Kalten Kriegs aus einen so schönen Ausblick.

Man kann nur hoffen, dass die Anlage dann nicht komplett eingeebnet, sondern für die Nachwelt erhalten wird.

Fazit: Ich war ja schon in vielen Lost Places, aber Station D. war wirklich etwas ganz besonderes. Ein geheimes NATO-Sperrgelände auf einem Berggipfel, beeindruckende Technik aus dem Kalten Krieg, die heute so nicht mehr existiert, und das alles eingebettet in eine wunderschöne Berglandschaft 🙂 Mehr Lost Places gibt es in der entsprechenden Kategorie.

Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.

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