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Der Einleitungsartikel zu Albanien befindet sich hier.
Unsere erste Station in Albanien war Tirana, denn dort liegt derzeit der einzige internationale Flughafen des Landes. Bis vor knapp 100 Jahren war die Stadt recht klein und hatte nur wenige Tausend Einwohner. Erst mit der Bestimmung zur Hauptstadt im Jahr 1920 und der Machtübernahme durch die Kommunisten unter Enver Hoxha 1944 wuchs die Stadt auf etwa eine halbe Million Einwohner an.
Der Großteil des Stadtbildes stammt aus der Zeit der kommunistischen Dikatur, und genau so sieht es auch aus. Viel Beton, große Häuserblöcke, ein großer Zentralplatz, stark verschlissene Bausubstanz. Historische Gebäude gibt es wenige, einiges wurde erst innerhalb der letzten zwanzig Jahre neu gebaut oder restauriert.
Trotzdem gibt es in und um Tirana genug zu entdecken, um sich für mindestens zwei Tage zu beschäftigen 🙂 Hier schon mal eine Karte und alle GPS-Daten zum Download:
Der Skanderbeg-Platz (Sheshi Skënderbej)
Der nach dem Nationalhelden Georg „Skënderbeu“ Kastriota benannte Zentralplatz liegt mitten in der Stadt. Hier befinden sich neben dem Skanderbeg-Denkmal, dem Historischen Nationalmuseum im ehemaligen Kulturpalast (Muzeu Historik Kombëtar), dem Opern- und Ballettheater (Teatri i Operas dhe Baletit), der Nationalbibliothek und der Nationalbank auch viele weitere wichtige Sehenswürdigkeiten und Institutionen.
Unter Diktator Hoxha war der Platz eine blanke Betonwüste. In den letzten Jahren wurden die Grünflächen wiederhergestellt, Spielplätze gebaut und Kunstwerke installiert.
Vom historischen Uhrturm (Kulla e Sahatit) aus kann man sich einen guten Überblick über den Platz und die nähere Umgebung verschaffen. Der Eintritt kostete 100 Lek (ca. 80 Euro-Cent).
Leider zeigt sich aus luftiger Höhe auch die ganze Hässlichkeit der Stadt. Die Betonklötze aus kommunistischen Zeiten ziehen sich bis zum Horizont, dazu kommen viele von Zuwanderern aus den ländlichen Regionen errichtete illegale Bauten am Stadtrand. Manche dieser illegalen Gebäude sind immer noch nicht an das Stromnetz angeschlossen und haben kein fließendes Wasser. Aber auch die legalen Neubauten im Stadtzentrum sind nicht unbedingt schöner…
Am Besten schaut man sich den Platz und die Umgebung daher bei Nacht an, wenn man das ganze Chaos nicht sehen muss 😉
Bunker, Bunk’Art und die Pyramide
Albaniens Diktator Hoxha regierte das Land 40 Jahre lang mit eiserner Hand. In den späten 1960er Jahren wurde er zunehmend paranoid und rüstete gegen einen vermeintlichen Angriff aus dem Ausland, unter anderem durch den geplanten Bau von 750.000 militärischen Bunkern. Tirana war besonders schwer befestigt. Durch das Stadtgebiet zieht sich ein Netz von Tausenden, auf 50 konzentrisch angelegten Kreisen errichteten Bunkern. Die meisten stehen aus Geldmangel bis heute an Ort und Stelle. Entlang der Straßen und in den Parkanlagen der Hauptstadt kann man sie überall ganz einfach finden, viele sind offen zugänglich.
Daneben gab es auch mehrere Atombunker für die kommunistische Führung. Einer davon befindet sich direkt neben dem Skanderbegplatz und wurde in ein Museum namens Bunk’Art 2 umgewandelt. In den professionell aufgemachten unterirdischen Räumen kann man mehr über die Verfolgung der Opposition durch die kommunistische Geheimpolizei Sigirumi erfahren. Der Eintritt kostete 500 Lek (ca. 4 Euro). Für die Besichtigung sollte man etwa ein bis zwei Stunden einplanen.
Ein zweites Bunkermuseum namens Bunk’Art 1 befindet sich weiter außerhalb nahe Linza. Es ist deutlich größer und zieht sich ein Mal längs durch einen kompletten Berg. Am Besten verbindet man den Besuch mit der Seilbahnfahrt auf den Mount Dajti, da die Talstation der Seilbahn Dajti Express direkt neben dem Eingang von Bunk’Art 1 liegt. Auch hier kostete der Eintritt 500 Lek.
Ein ebenfalls bunkerähnliches und sowieso kaum zu übersehendes Bauwerk ist das ehemalige Enver-Hoxha-Museum, meist als „Pyramide von Tirana“ (Piramida) bezeichnet. Die Tochter des Diktators, Architektin Pranvera Hoxha, plante das Gebäude nach dem Tod ihres Vaters. Der Bau dauerte zwei Jahre. Der Legende nach soll es bei seiner Fertigstellung das Teuerste jemals in Albanien errichtete Gebäude gewesen sein.
Bis 1991 lag hier „mehr oder weniger alles, was Enver Hoxha jemals berührt hatte“. Im Zentrum stand eine Marmorstatue des Ex-Diktators, eine Bühne mit Zuschauerraum bot Platz für hochrangig besetzte Feiern. Nach der Öffnung des Landes wurde die Pyramide in ein Internationales Kulturzentrum (Qendra Ndërkombëtare e Kulturës) umfunktioniert, beherbergte später Büros, Bars und eine Disco. Dann kamen die Pleite und der Verfall. Immer wieder werden Vorschläge zur Weiternutzung gemacht, zuletzt im 2018 die Umwandlung in ein Technologiezentrum für Startups. Realisiert wurde bislang nichts davon.
Vor der Pyramide befindet sich die im Jahr 2000 errichtete Friedensglocke (Këmbana e Paqes). Sie erinnert an die Unruhen nach dem Lotterieaufstand im Jahre 1997, welche von Schutztruppen der Vereinten Nationen befriedet werden mussten. Die Glocke selbst wurde aus in Albanien eingesammelten Patronenhülsen gegossen.
Museum „House of Leaves“ (Shtëpia e Gjetheve)
Das „House of Leaves“ ist ein unscheinbares, von Grünpflanzen bewachsenes Gebäude unweit des Skanderbegplatzes. Hier befand sich über Jahrzehnte das Hauptquartier der kommunistischen Geheimpolizei Sigurimi. Hunderttausende Menschen wurden vom Regime mit Stasi-Methoden beobachtet, Zehntausende in Geheimgefängnissen inhaftiert und ermordet. Eine ganze Abteilung beschäftigte sich nur mit der Zensur der Medien. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung sollen auf verschiedene Weise mit der Geheimpolizei kooperiert haben.
Die professionell gemachte Ausstellung beherbergt eine große Sammlung von Geräten, Tonaufnahmen, Filmen und Originaldokumenten. Obwohl die meisten Dokumente nur auf albanisch vorliegen, kann ich einen Besuch sehr empfehlen. Besonders die stellenweise wirklich absurden Propagandafilme und die vielen Überwachungsgeräte aus dem Ausland, darunter sündhaft teure Kameras aus Japan und Hunderte Tonbandgeräte aus Westdeutschland, hatten es uns angetan.
Der Eintritt kostete 700 Lek (ca. 5,60 Euro). Im Museum ist fotografieren verboten, im Luftschutzbunker im Garten nicht.
Auferstehung-Christi-Kirche (Ringjallja e Krishtit)
Enver Hoxha hatte zwar 1967 alle Religionen offiziell verboten und Albanien zum „ersten atheistischen Staat der Welt“ erklärt. Trotzdem liegt der Anteil der Nicht-Gläubigen heute bei weit unter zehn Prozent. Die meisten Staatsbürger sind Muslime, etwa 15 Prozent Christen verschiedener Strömungen. Ein Großteil davon lebt im Norden an der Grenze zu Montenegro und ist katholischen Glaubens.
Zwischen Tirana und Gjirokastër erstreckt sich aber der Einflussbereich einer ganz eigenen, nationalen Strömung des Christentums, der Autokephalen Orthodoxen Kirche von Albanien. 2010 hat diese gegenüber des House of Leaves eine neue Auferstehungskirche eingeweiht. Ein Besuch ist alleine schon wegen der vielen architektonischen Besonderheiten interessant. Der Innenraum ist kugelrund und hat eine Kuppel mit fast 30 Metern Durchmesser, der Glockenturm besteht aus vier Osterkerzen.
Kunst im städtischen Raum
Die Stadtverwaltung von Tirana bemüht sich sehr um ein attraktives Stadtzentrum. Das wohl beste Beispiel dafür ist die Kunstinstallation „The Serpentine Pavilion“ des japanischen Architekten Sou Fujimoto vor der Nationalen Kunstgalerie (Galeria Kombëtare e Arteve), eine Leihgabe aus London. Besonders nachts kommt das Konstrukt sehr schön zur Geltung.
Auch im restlichen Stadtgebiet kann man so einiges an Straßenkunst entdecken. Eine Besonderheit sind die bemalten Stromverteiler – keine zwei Exemplare tragen das selbe Bild.
Mutter Teresa
Wahrscheinlich kennt jeder die Heilige Teresa von Kalkutta. Aber nicht jedem dürfte bekannt sein, dass Agnes Gonxha Bojaxhiu albanischer Abstammung war. Heute ist sie quasi die Nationalheilige neben Nationalheld Skanderbeg. Alles Mögliche, vom Internationalen Flughafen bis zum Zentralkrankenhaus in Tirana, ist nach „Nënë Tereza“ (Mutter Teresa) benannt. Daneben finden sich überall in Albanien, dem Kosovo und Nordmazedonien Statuen von ihr, teilweise sogar mitten in Kreisverkehren.
Die Statue auf dem Bild wurde zum 100. Geburtstag der Heiligen vor der Pauluskathedrale in Tirana aufgestellt.
Neuer Basar (Pazari i Ri)
Der alte osmanische Basar musste schon 1931 einem ganz normalen Markt weichen. 2017 wurden die alten Holzdächer durch eine Konstruktion aus Glas und Stahl ersetzt. Seitdem ist die Ecke östlich des Skanderbegplatzes ein beliebtes Freizeit- und Ausgehviertel mit vermutlich mehr Bars und Restaurants als Marktständen.
Neben Obst, Gemüse und Feinkost waren auch Antiquitäten aus der Zeit des Kommunismus im Angebot. Zur Abwechslung dürften diese sogar echt gewesen sein, leider war im Reisegepäck aber kein Platz mehr für noch eine Analogkamera…
Im Viertel rund um den Markt boten auch viele Handwerker ihre Dienste an. Einige hatten es zu kleinen Läden und Werkstätten gebracht, andere arbeiten einfach auf der Straße.
Kurioses
Die Albaner mögen Deutschland. Stellenweise muss man schon von einer Art Liebe oder zumindest Verehrung sprechen, denn anders waren bestimmte Dinge nicht mehr zu erklären. Etwa der „Deutsche Market“, ein Laden mit ausschließlich aus Deutschland importierten (Discount-)Produkten zu stattlichen Preisen. Oder ein alter Stadtbus aus Berlin inklusive Werbeaufdruck der Deutschen Bahn…
Okay, dieser Fahrradweg ist vielleicht nicht besonders lang, aber immerhin gibt es einen. Und er ist sehr gut gesichert. Der Gedanke zählt. Mangelnden Willen kann man der Stadtverwaltung auf jeden Fall nicht vorwerfen!
Dajti und Dajti Ekspres
Der Dajti ist der Hausberg von Tirana und gleichzeitig ein Nationalpark. Seit Juni 2005 fährt eine fast fünf Kilometer lange Gondelbahn vom östlichen Stadtrand auf die 1050 Meter hoch gelegende Ebene von Dajti (Fusha e Dajtit). Die 1613 Meter hohe Bergspitze ist leider militärisches Sperrgebiet, sonst würde die Seilbahn vermutlich bis ganz nach oben führen.
Von der Ebene aus hätte man einen wunderbaren Panoramablick auf Tirana, wenn das Stadtzentrum nicht neun Kilometer entfernt und wegen des Smogs im Dunst läge. Das Ganze ist auch eine vergleichsweise teure Sache. Die Hin- und Rückfahrt mit der Gondelbahn kostete stolze 1000 Lek (ca. 8 Euro), die Preise im Restaurant und der Bar an der Bergstation waren hoch, und der Zutritt zu den guten Aussichtspunkten (Turm, Terasse, sich drehende Bar) blieb zahlenden Gästen des Hotels oder Restaurants vorbehalten. Immerhin konnte man von einer kleinen Gartenanlage auf der Nordseits kostenlos und ungestört auf die Stadt hinabschauen.
Die Talstation erreicht man am Besten mit der Buslinie 1 (Quender-Porcelain) oder der Buslinie 2 (Kombinat-Quender-Kinostudio). Wir haben die Linie 1 ab der Haltestelle Uhrturm (Kulla e Sahatit) benutzt. Man kann damit bis zur Station Teleferiku fahren und von dort aus zu Fuß gehen, oder den Dajti Ekspres Shuttlebus benutzen. Wir sind bei der Station Market Hippo ausgestiegen, haben erst Bunk’Art 1 besucht und sind dann zur Talstation des Dajti Ekspres hinaufgekeucht.
Das war es aber noch nicht ganz von unserer ersten Station in Albanien. Die Pyramide des Diktators konnten wir doch nicht einfach so ruhigen Gewissens in der Gegend herumstehen lassen, ohne einen Blick hinein zu werfen… 😉
Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.