Am Schwarzen Meer in Odessa

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Gegen Ende unserer Ukraine-Rundreise waren wir dann doch ganz schön geschafft. Der Stress mit Kiew und dem Umweg über Lwiw, die zwei Tage in Tschernobyl, die 500 Kilometer auf der „besten Autobahn des Landes“ (Ha Ha) mit dem Abstecher in das Museum der Strategischen Raketenstreitkräfte… all das hatte seine Spuren hinterlassen.

Wir wollten einfach nur noch ausspannen, vielleicht auch mal zwei oder drei Tage ein bisschen am Strand faulenzen und nichts tun. Wie gut, dass die Ukraine am Schwarzen Meer liegt und wir gerade in Odessa angekommen waren 🙂

Wissenswertes

Odessa (Оде́са) ist die drittgrößte Stadt der Ukraine. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich am heutigen Standort nur ein türkisches Fischerdorf namens Khadjibey (Hacıbey) mit einer kleinen Festung befunden. Während des Türkisch-Russischen Krieges fiel Khadjibey an Russland, und die Berater der russischen Zaren sahen hier einen guten Ort für einen großen Hafen. Das Schwarze Meer war im Winter eisfrei, die Küste um Odessa erlaubte die Landung großer Flotten. 1794 befahl Katharina die Große den Bau der Stadt Odessa und eines großen Hafens.

Die Gründung der Stadt zog einen beispiellosen Bauboom nach sich. Innerhalb von 20 Jahren stieg die Bevölkerungszahl um den Faktor 15 und erreichte fast 20.000 Personen. Italienische und französische Stadtplaner und Architekten gaben der Innenstadt ein schachbrettartiges Straßenmuster mit typisch europäischen Gebäuden. Da es in der Umgebung keine Berge gibt, wurde das Baumaterial unterirdisch abgebaut. Die so entstandenen Tunnel bilden heute die geschätzt 2.500 Kilometer langen Katakomben von Odessa.

Das 20. Jahrhundert brachte weniger schöne Ereignisse mit sich. Die Russische Revolution und die gleichzeitig stattfindende Meuterei der Besatzung des Linienschiffes „Fürst Potjomkin von Taurien“ (Князь Потёмкин Таврический) endeten 1905 in einem Blutbad in den Straßen der Innenstadt. Der berühmte Stummfilm Panzerkreuzer Potemkin basiert auf den damaligen Ereignissen. Es folgten die Oktoberrevolution, der russische Bürgerkrieg, eine Welle der Kriminalität in den 1920er Jahren, die von den Sowjets verursachten Hungersnöte 1932/1934 und der Zweite Weltkrieg. In den 1960er und 1970er Jahren wanderten viele Bürger aus oder zogen in Städte mit besseren Perspektiven, wie etwa Moskau oder Leningrad.

Im Vergleich mit der Krim schnitt Odessa sowohl als Hafen als auch als Tourismusziel lange Zeit schlechter ab. Seit der Annexion der Krim durch Russland hat sich das aber geändert. Die anderen ukrainischen Häfen werden immer wieder von russischen Kriegsschiffen schikaniert, und für Touristen ist der Weg auf die Krim über Russland jetzt deutlich komplizierter als die meist visumfreie Einreise in die Ukraine.

Folgende Sehenswürdigkeiten kann ich empfehlen:

1. Vidrada-Strand (Відрада)
2. Lanzheron-Strand (Ланжерон)
3. Suvorivska-Allee (Суворівська алея)
4. Passagierhafen (Одеський морський порт, Odeskii Morskii Port) und Woronzow-Leuchtturm (Воронцовський маяк)
5. Potemkinsche Treppe (Потьомкінські східці, Potjomkinśki S’chidzi) und Standseilbahn (Фунікулер, Funikuler)
6. Vergnügungspark (Одеський лунапарк, Luna Park)
7. Deribasiwska-Hauptstraße (Дерібасiвська вулиця)
8. Die Katakomben (verschiedene Standorte)

Der Großteil der Innenstadt ist gut zu Fuß zu entdecken. Die Straßenbahn und die Oberleitungsbusse fahren dort sowieso nicht, und wir hatten auch so einige Probleme damit, einen zuverlässigen Fahrplan zu finden.

Frühstück am Strand

Wir waren für 26,50 Euro pro Nacht und Zimmer im zentral gelegenen Arnautsky Hotel abgestiegen. Kein schlechter Preis für große, angenehme Zimmer mitten im Sommer. Frühstück war leider nicht inbegriffen, aber wir wollten sowieso lieber an der knapp eineinhalb Kilometer entfernten Küste frühstücken.

Was wir im Restaurant Palma (Пальма) am Vidrada-Strand für 250 Hrywnja (ca. 8 Euro) serviert bekamen, ging allerdings schon eher als Brunch oder Mittagessen durch… 😯

Die Strände waren brechend voll. Nördlich des Vidrada-Strandes liegen der bekannte Lanzheron-Strand, die Clubhotels Nemo (Немо) und M1 und dann der Hafen. In Richtung Süden kann man etwa 12 Kilometer weit von Strand zu Strand spazieren.

Auf dem Weg Richtung Norden sind mir wieder einige gute Schnappschüsse gelungen 🙂

Hafen und Leuchtturm

Der Güterhafen ist der größte der Ukraine und einer der größten am Schwarzen Meer. Die Terminals und Industrieanlagen ziehen sich mehr als zehn Kilometer weit an der Küste entlang nach Norden und sind natürlich wenig ansehnlich. Die Terrasse hinter dem Passagierterminal und dem gigantischen Vier-Sterne-Hotel Odessa eignet sich aber ganz gut für einen Blick aufs Meer.

Vom Passagierterminal legen neben Ausflugsdampfern auch Fähren nach Istanbul und Jewpatorija auf der Krim ab. Poti und Batumi (Georgien) sowie Warna (Bulgarien) erreicht man dagegen über den Hafen Tschornomorsk, etwa 20 Kilometer südlich von Odessa.

Der Vorontsov-Leuchtturm befindet sich seit 1888 am Ende eines langen Piers vor der Hafeneinfahrt. Nachts leuchtet das Licht auf dem 27 Meter hohen Turm drei Mal in Folge lange auf und übermittelt dadurch den Morsecode des Buchstaben O für Odessa.

Leider ist der Pier zum Leuchtturm für normale Besucher nicht erreichbar. Die Aussicht von dort draußen wäre sicher sehr schön gewesen! 🙁

Bei Sonnenuntergang boten sich im und rund um den Hafen sehr viele schöne Perspektiven. Das Wasser war sauber und tiefblau, die verrosteten Piers leuchteten rot und gelb. Aber auch das Gebäude selbst gab so einiges her.

Der Hafen verfügt auch über mehrere Eisenbahnterminals. Ein schönes Wiedersehen mit den alten russischen Diesellokomotiven der Baureihe ChME3 (ЧМЭ3). Wenn so ein Ungetüm durchfährt, wackelt alles im weiten Umkreis 🙂

Potemkinsche Treppe und Standseilbahn

Man würde es nicht erwarten, aber die Innenstadt liegt auf einem Plateau 30 Meter über dem Meeresspiegel. In den 1830er Jahren entschied man sich deswegen für den Bau einer gewaltigen Treppe hinunter zum Hafen. Mehrere Architekten boten alle optischen Tricks auf. Von ganz oben sieht man nur die breiten Absätze, aber keine Treppenstufen. Von ganz unten sieht man nur die Stufen, aber keine Absätze. Wegen der unterschiedlichen Breiten der Ober- und Unterseiten wirkt die Treppe für die Fußgänger immer gleich breit, die Stadt an der Oberseite aber noch größer. Der Sandstein aus Triest war so teuer, dass der Bauunternehmer fast in den Ruin getrieben wurde – die Stadt bezahlte ihn erst nach der Fertigstellung.

Durch den Film „Panzerkreuzer Potemkin“ wurde die Treppe in den 1920er Jahren weltweit berühmt und zum Wahrzeichen der Stadt. Viele Touristen reisten nur nach Odessa, um den Originalschauplatz aus dem Film zu sehen.

Wer zu faul zum Gehen ist, kann für den stolzen Preis von 3 Hrywnja (ca. 10 Euro-Cent) auch mit der Standseilbahn fahren. Diese wurde eigentlich schon 1902 in Betrieb genommen und sieht auch sehr alt aus, das Original fährt hier aber nicht mehr. Die Sowjets hatten die alte Standseilbahn 1969 einfach durch Rolltreppen ersetzt. Die neue „alte“ Standseilbahn stammt von 2005.

Wahrscheinlich findet sich unter den Verbotsschildern deswegen auch eine bunte Mischung aus allen historischen Epochen 😉

Auf den Straßen der Innenstadt

Die touristischen Teile der Innenstadt waren immer noch gut in Schuss, vom Glanz des 19. Jahrhunderts sonst aber nur wenig übrig geblieben. Die meisten Ukrainer können sich die Instandhaltung der Häuser schlicht nicht leisten oder sind weggezogen. Der Durchschnittslohn beträgt nur 10.000 Hrywnja (ca. 300 Euro) pro Monat, die Hälfte der Bevölkerung muss mit 3.200 bis 6.000 Hrywnja (100 bis 190 Euro) auskommen. Seit dem Wegfall der Visumspflicht für Reisen von Ukrainern in die Europäische Union sollen im Schnitt mindestens 100.000 Menschen pro Monat das Land verlassen haben.

Aber nicht nur die Häuser waren alt und kaputt – in der Ukraine war einfach alles alt und kaputt. Straßen, Gebäude, Fahrzeuge. Der Legende nach verkaufen die Deutschen ihre gebrauchten Fahrzeuge nach Polen und Rumänien, und was in Polen und Rumänien nicht mehr gebraucht wird landet in der Ukraine. Ich kann das im Prinzip bestätigen. Auf der Autobahn hatten wir sogar alte britische und US-amerikanische LKWs gesehen – niemand würde in der EU damit fahren, wenn es nicht unbedingt sein müsste 😯

Auch in der Innenstadt gab es wieder viele schöne Gelegenheiten für gute Schnappschüsse.

Die wichtigste Fußgängerzone der Stadt ist die etwa einen Kilometer lange Deribasiwska-Straße. Am Wochenende war hier die Hölle los. Die Touristen zog es in die zahllosen Restaurants und Cafès, die Stadtbevölkerung zu Veranstaltungen und Live-Musik unter freiem Himmel, und die Kinder zu den Straßenverkäufern und zum Ponyreiten.

Eine herrlich verrückte Umgebung für etwas Straßenfotografie 😉 Fast noch besser als in Lwiw

Lustige Kostüme haben in Odessa aber auch eine eigene Tradition. Jedes Jahr um den 1. April findet das Humorina-Festival (Гуморина) statt. Den Höhepunkt stellt eine von Tausenden Schaulustigen begleitete Kostümparade in der Deribasiwska-Straße dar, in etwa vergleichbar mit dem Fasching in Deutschland.

Abends im Vergnügungspark

Wie die meisten anderen ex-sowjetischen Städte hat auch Lviv einen „Luna Park“. Allerdings schienen die Fahrgeschäfte nicht mehr von damals zu stammen, sondern man hatte hier wohl ausrangierte Jahrmarktsfahrgeschäfte aus Europa „endgelagert“. Anders kann ich mir manches Schild nicht erklären…

Die Ausstattung war ganz ordentlich und recht modern. Das Riesenrad war zum Zeitpunkt unseres Besuches das höchste in der ganzen Ukraine.

Auch in Deutschland bei Jugendlichen immer beliebt: Das wilde Karussell vom Typ „Magic“. Für den Fotografen ebenfalls ein sehr lohnendes Objekt, vor allem wenn man das Stativ gerade griffbereit hat 🙂

Wie schon auf dem Fischfest in St. Petersburg galt auch hier die Devise „Man muss eben mit dem Spaß haben, was man hat“. Das Laser-Geschicklichkeitsspiel würde in Deutschland wahrscheinlich noch als zeitgemäß akzeptiert werden, aber…

…der „Flugsimulator“ in dieser Form wahrscheinlich nicht. Halterung aufsetzen, Handy einschieben, Film abspielen, und der junge Mann sorgt mit seinen starken Armen für die Beschleunigung im richtigen Moment. Auf jeden Fall sehr interessant anzusehen 😉

Die Katakomben

Die aus meiner Sicht größte Attraktion in Odessa sind allerdings die Katakomben. Weil es dort so viel zu sehen gibt, verdienen diese einen eigenen Artikel. Hier schon mal eine kleine Vorschau… 😯

Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.

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