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Auf meinen Reisen durch Osteuropa habe ich zwei Dinge über den Zweiten Weltkrieg gelernt. Erstens: Ohne die vielen Siegesparks, Museen, Patriotenlieder und jährlichen Feiern wären die Städte und die Kulturlandschaft wohl sehr viel ärmer (siehe meinen Besuch in Moskau am Tag des Sieges). Zweitens: Man darf sich von den Monumenten, Panzern, Kostümen und Fahnen einfach nicht beeindrucken lassen. Was in Deutschland bestenfalls als schlechter Geschmack oder im schlimmsten Fall sogar als Wiederbetätigung durchgehen würde, ist für Osteuropäer oft „normal“.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf machte ich mich am 19. Mai 2018 auf zur „Nacht des Museums“ im Museum des Großen Patriotischen Krieges in Minsk (Музейгісторыі Вялікай Айчыннай Вайны). Das Museum wurde bereits kurz nach der Befreiung von Minsk gegründet, es ist damit das einzige Museum über den Zweiten Weltkrieg, welches noch während des Zweiten Weltkrieges eröffnete. 1966 zog es in das heutige Gebäude am Siegespark (Парк Перамогі) um.
Noch patriotischer ginge es wohl kaum: Das Gebäude liegt auf einem Hügel, die große Stele ist der Heldenstadt Minsk (Минск Город-Герой) gewidmet, die Frauenstatue mit der Trompete trägt den Namen „Das Mutterland ruft“ (Радзіма-маці). Insgesamt 12 Städte erhielten im Laufe der Jahrzehnte von der Sowjetunion den Titel „Heldenstadt“ verliehen, um das „massenhafte Heldentum ihrer Verteidiger im Großen Vaterländischen Krieg“ zu würdigen. Große Neonbuchstaben auf dem Gebäude gegenüber erinnern die Besucher ebenfalls noch ein Mal daran.
Die zehn „Strahlen“ hinter der Stele zeigen verschiedene, typisch sowjetische Reliefs. Einige erinnerten an ähnliche Kunstwerke in einigen Haltestellen der Moskauer Metro.
Die Sammlung enthält derzeit mehr als 140.000 Exponate, von welchen nur sehr wenige ausgestellt werden können. Die Ausstellungräume waren erstaunlich professionell eingerichtet und mussten sich im internationalen Vergleich definitiv nicht verstecken. Die meisten Exponate waren in Belarussisch, Russisch und Englisch beschriftet – in der Region eher eine Seltenheit. Die Kuratoren hatten auch sonst gute Arbeit geleistet und den Fokus eher auf eine historisch halbwegs korrekte Darstellung als auf plakative Schuldzuweisungen gelegt.
Besonders beeindruckend waren die ausgedehnten Dioramen und die effektvoll ausgeleuchteten Räume. Der Bau der Kulissen musste auf jeden Fall einiges an Zeit und Geld verschlungen haben.
Bis zu diesem Punkt könnte man wahrscheinlich sagen: Naja, ein gut gemachtes Museum halt, aber doch sehr steril. Vielleicht eine gute Wahl für einen regnerischen Tag. Aber wie eingangs schon erwähnt, haben Osteuropäer im Mittel sehr viel weniger Berührungsängste mit der jüngeren Vergangenheit als wir Deutschen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem schönen Portraitfoto mit einem General der Wehrmacht vor des Kulisse eines deutschen Bunkers? Oder einem Selfie mit dem Reichsadler im Hintergrund? Nein? 😉
„HALT! AUSWEIS!“, herrschte mich einer der beiden Darsteller auf Deutsch an. „KAMERA! SPION!“ rief der andere. Zwei Maschinenpistolen waren auf mich gerichtet, an den Armen der beiden die typischen rot-weißen Binden. Ich war für einen Moment völlig verwirrt, dann gab ich mich als Deutscher zu erkennen und durfte ungestraft passieren. Die belarussischen Besucher hingegen mussten die eine oder andere Handtascheninspektion über sich ergehen lassen, bevor sie als ungefährliche Zivilisten eingestuft wurden.
Ein Teil der Ausstellungsfläche war der deutschen Besetzung des Landes von 1941 bis 1944 gewidmet und griff auch die Rolle der belarussischen Kollaborateure auf. In Deutschland hätte man wahrscheinlich große Probleme, Darsteller für solche Laienrollen zu finden, aber für den belarussischen Studenten und seinen älteren Kollegen war die Sache einfach nur Teil eines etwa ausgefalleneren Engagements.
Während der Nacht des Museums wurde ein vielfältiges Programm angeboten. Die Besucher konnten an verschiedenen Stationen beweisen, ob sie gute Patrioten gewesen wären, und Punkte für ein Gewinnspiel sammeln. Zu den Aktivitäten gehörten unter anderem das Besticken von Fahnen, das Morsen geheimer Botschaften und das Verbinden Verwundeter in einem simulierten Feldlazarett. In Deutschland so wohl kaum vorstellbar…
In der Siegeshalle unter der Dachkuppel waren die Namen der Gefallenen aus verschiedenen Kriegen aufgelistet. Hier können auch größere Zeremonien abgehalten werden.
Das Abendprogramm ging im Außenbereich weiter. Während die Versorgungstruppe der Roten Armee Gerstenbrei mit Einlage servierte, konnte man sich zwanglos mit den Soldaten und Kollaborateuren beider Seiten unterhalten. Irgendwo weiter hinten sang jemand in Endlosschleife das alte Soldatenlied Katjuscha (Катюша) an einer Karaokestation.
Der Siegespark ist der größte Park der Stadt, er erstreckt sich nördlich des Museums auf einer Fläche von etwa zwei mal drei Kilometern bis zum Messegelände (Белэкспа). Die Swislatsch (Свіслач) wurde hier auf eineinhalb Kilometern Länge zu einem Reservoir verbreitert und vertieft, um Minsk im Frühjahr vor dem Hochwasser zu schützen. Der dadurch entstandene Komsomolskaya-See (Камсамольскае возера) dient als Naherholungsgebiet für Jung und Alt.
Für sowjetische Verhältnisse fast schon modern und schön anzusehen: Die Skulptur „Der Weg vor uns“ am Seeufer, ein Beitrag von Künstler Pavel Voynitskiy zum Ende des Zweiten Weltkrieges.
Kurz vor Sonnenuntergang machte ich mich nach einem etwas schrägen, aber sehr interessanten Tag gegen 21 Uhr auf den Weg zurück ins Hotel. Nächstes Mal geht es dann mit dem Mietwagen durch Belarus… 🙂
Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.
Man freut sich auf jeden Bericht. Bravo!
Danke 🙂