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Dass im Schwarzwald kein Mangel an schönen Wanderwegen herrscht, dürfte allgemein bekannt sein. Auf nicht wenigen dieser Wege kann man aber auch auf den Spuren der Geschichte wandeln, und genau darum soll es heute gehen. Zwölf Kilometer Wegstrecke und knapp 750 Höhenmeter bringen uns die Geschichte der Elektrifizierung Baden-Württembergs mit Hilfe der Wasserkraft näher 🙂
Da die badischen Gemeinden immer lauter nach einem Anschluss an das Elektrizitätsnetz riefen, begann der Staat Baden Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Erschließung der Wasserkraft. Zwischen 1914 und 1926 entstanden im Murgtal und den angrenzenden Tälern – während des gerade ausgebrochenen Ersten Weltkrieges (!) – mehrere Talsperren und Kraftwerke. Oberflächlich gesehen fallen davon heute nur die 65 Meter hohe Schwarzenbachtalsperre in einem Seitental und das Rudolf-Fettweis-Kraftwerk bei Forbach ins Auge. Beide wirken wie ganz normale Bestandteile einer Wasserkraftanlage, aber der Eindruck täuscht: Es handelt sich um ein Pumpspeicherkraftwerk. Nach der Fertigstellung im Jahre 1926 gehörte das Kraftwerk zu den ersten Pumpspeicherkraftwerken überhaupt.
Erste Etappe: Das Rudolf-Fettweis-Kraftwerk in Forbach
Die Wanderung beginnt in Forbach im Landkreis Rastatt, für die Anreise nutzt man am besten die S-Bahn aus Richtung Karlsruhe. Die Linie S8 fährt im Stundentakt.
Nach einem Kilometer erreicht man zuerst die kleine Staumauer am Ausgleichsbecken des Kraftwerks, über welche man auf die andere Seite der Murg wechseln kann. In der Staumauer befindet sich das kleine Niederdruckwerk mit einer Leistung von bis zu 2.400 Kilowatt, ausreichend für etwa 2.500 Haushalte. In südlicher Richtung liegt das Hauptwerk.
Der Betreiber EnBW bietet über seine Webseite kostenlose Kraftwerksführungen an, diese sind allerdings immer gut besucht. Wer sich nicht selbst auf den Weg nach Forbach machen möchte oder keinen Termin ergattern konnte, kann die Führung heute bequem vom Sessel aus nachholen 😉
Im Turbinenhaus in Forbach befinden sich insgesamt sieben Turbinen, davon zwei Peltonturbinen für das Wasser aus der Schwarzenbachtalsperre und fünf Francis-Turbinen für das Wasser aus dem Sammelbecken Kirschbaumwasen. Die Turbinen und Generatoren wurden seit der Inbetriebnahme vor teilweise fast 100 Jahren nur gewartet und nicht ausgetauscht, daher wird ein guter Teil der Steuer- und Regelungstechnik noch über einfache Mechanik realisiert.
Die Zuleitungen wurden als oberirdische, bis zu 880 Meter lange Druckrohre ausgeführt. Die Brücke in der Mitte wird im späteren Verlauf der Wanderung überquert.
Bei einem Überschuss im Stromnetz kann mit Hilfe der großen, blauen Pumpe Wasser zurück in den Schwarzenbach-Stausee gepumpt werden. Um das Wasser nicht über die volle Höhe von 355 Metern hochpumpen zu müssen, entnimmt man das Wasser aus dem Druckrohr des Sammelbeckens Kirschbaumwasen. Die Pumpe muss dann nur noch die Höhendifferenz von 220 Metern bewältigen.
Die Steuerung erfolgt heute komplett elektronisch, auch wenn die alte Technik noch überall zu sehen ist. Von Forbach aus werden nicht nur die eigenen Turbinen gesteuert, sondern gleich mehrere Wasserkraftanlagen im weiten Umkreis. Dazu gehören beispielsweise auch die fünf Illerkraftwerke. Viel Aufwand für vergleichsweise wenig elektrische Energie: In Forbach werden in Spitzenzeiten etwa 70 Megawatt Strom erzeugt, die über 100 Wasserkraftanlagen in ganz Baden-Württemberg bringen es auf knapp zwei Gigawatt. Der noch bis 2022 aktive Block II des Kernkraftwerks Neckarwestheim bei Stuttgart erzeugt im Vergleich rund um die Uhr 1,4 Gigawatt.
2010 hat die EnBW einen Ausbau durch weitere Sammelbecken und Kraftwerke beantragt. Da das vorhandene Ausgleichsbecken im Tal dafür nicht mehr ausreichen würde, soll ein drei Mal so großer, unterirdischer Kavernenspeicher in den Berg gegraben werden. Das neue Kraftwerk würde dann auch komplett im Berg verschwinden und die alten Gebäude als Technikdenkmal stehen bleiben.
Zweite Etappe: Über die Murgleiter zur Schwarzenbachtalsperre
Weiter geht es durch den Ortskern von Forbach und dann entlang der gut ausgeschilderten „Murgleiter“ bis hinauf zum höchsten Punkt der Wanderung auf 728 Höhenmetern.
Unterwegs gibt es vor allem viel Natur, aber auch den einen oder anderen schönen Blick über den Schwarzwald zu sehen.
Knapp 280 Meter oberhalb des Rudolf-Fettweis-Kraftwerks überquert man auf einer Brücke die Druckrohre. In der Mitte verlaufen die Schienen des für den Bau und die spätere Wartung benutzten Schrägaufzugs.
Dritte Etappe: Die Schwarzenbachtalsperre
Nach insgesamt knapp sieben Kilometern Weg lichten sich plötzlich die Bäume, und wie aus dem Nichts erscheint die 400 Meter lange und 65 Meter hohe Schwarzenbach-Talsperre. Der Bau hatte die Arbeiter 1922 vor große Herausforderungen gestellt. Für die Anlieferung des Baumaterials aus einem entfernten Steinbruch mussten erst eine Feldbahnstrecke und ein Schrägaufzug konstruiert werden. Dynamit war in der Nachkriegszeit knapp, statt dessen wurde mit flüssiger Luft gesprengt.
Während der Führung hatte man uns unter anderem einen aus heutiger Sicht erschreckenden und gleichzeitig unterhaltsamen Schwarz-Weiß-Film von den Bauarbeiten vor fast 100 Jahren vorgeführt. Den Begriff „Arbeitssicherheit“ schien man damals nicht so wirklich gekannt zu haben… 😯
Der Stausee fasst 14,4 Millionen Kubikmeter Wasser, im deutschen Stausee-Vergleich entspricht das etwa dem Mittelfeld. Trotz der Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg wurde er nur drei Mal komplett entleert: 1935, 1952 und 1997. Kein Wunder, denn eine reguläre Entleerung dauert zweieinhalb Monate. Die letzte Entleerung 1997 wurde unerwartet zum Publikumsmagnet, da neben Waffen aus dem zweiten Weltkrieg auch Münzen und andere Gegenstände gefunden wurden. Die Sage von einer überfluteten Stadt, welche angeblich immer noch auf dem Grund des Sees existieren solle, konnte damals auch wirksam entkräftet werden.
Als gutes Naherholungsgebiet dient der Stausee leider nicht (mehr?). Es gibt zwar einen kleinen Imbiss an der Landstraße 83 auf der Südseite des Stausees und einen Tretbootverleih, bei unserem Besuch im Juni 2018 war der Tretbootverleih aber geschlossen. Möglicherweise lag dies aber auch einfach am eher niedrigen Wasserstand.
Vierte Etappe: Abstieg zum Bahnhof Raumünzach
Der knapp vier Kilometer lange Abstieg zum Bahnhof Raumünzach führt erst zur Sohle der Staumauer und dann entlang des ausgetrockneten Schwarzenbachs zurück ins Tal. Von unten wird die Größe der Talsperre erst so richtig deutlich.
Auch hier gibt es auf dem Weg wieder viel Wald und Natur zu sehen. Besonders der Rote Fingerhut schien prächtig zu gedeihen. Vorsicht: Alle Pflanzenteile sind hochgiftig!
Besonders auf dem letzten Stück des Abstieges geht es steil nach unten, an der steilsten Stelle knapp 200 Höhenmeter auf nur eineinhalb Kilometern.
Vom Bahnhof Raumünzach aus erreicht man mit der S-Bahn entweder binnen fünf Minuten den Startpunkt Forbach oder nach 71 Minuten den Bahnhof Karlsruhe. Es empfiehlt sich, den Abstieg passend zum Fahrplan zu planen, da die Bahnen am Wochenende nur ein Mal pro Stunde fahren.
Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.