This post is also available in English. Mehr Artikel über Japan gibt es hier!
Sie ist einer der wohl bekanntesten Orte in Japan neben dem Mount Fuji: die „Schrein-Insel“ Miyajima (宮島) vor Hiroshima. Fast jeder Tourist hatte schon vorher Bilder von dem gigantischen, mitten im Wasser stehenden Torii (鳥居) gesehen, und auch die zahmen Hirsche sind weltweit bekannt. Wer es nach Hiroshima geschafft hat, hängt meistens auch einen Tagesausflug nach Miyajima an, denn wie schon erwähnt gibt es in Hiroshima abseits der Atombombendenkmäler nicht wirklich viel zu sehen.
Mehrere Anbieter setzen direkt vom Hiroshima Peace Park (45 Minuten, 3600 Yen/27 Euro für Hin- und Rückfahrt) oder vom Hiroshima Port (30 Minuten, 1850 Yen/14 € eine Strecke) aus mit Booten nach Miyajima über. Wer keine Lust auf die Touristenpreise hat und nicht in Eile ist, nimmt statt dessen entweder für 260 Yen (ca. 2 Euro) die Straßenbahnlinie 2 oder für 410 Yen (ca. 3 Euro) den Zug nach Miyajimaguchi (宮島口). Von dort aus fahren die Fähren von JR und Matsudai zum Einheitspreis von 180 Yen (ca. 1,35 Euro) nach Miyajima. Für Inhaber eines JR Pass sind der Zug nach Miyajimaguchi und die JR-Fähre sogar inklusive.
Wer auf Miyajima sterben, geboren werden oder weiblich sein möchte, hat übrigens Glück – seit dem 20. Jahrhundert sind diese drei Formen der Unreinheit nicht mehr verboten.
Auf der Insel angekommen fielen mir zwei Dinge auf. Zum einen ist sie vergleichsweise riesig (etwa zehn Kilometer lang und dreieinhalb Kilometer breit), aber alle Attraktionen konzentrieren sich auf eine sehr kleine Fläche an der nördlichen Küste.
Zum anderen: Hirsche. Überall, wirklich überall waren zahme Hirsche zu sehen. Von den insgesamt etwa drei Millionen Japanischen Sikahirschen leben zwar nur etwa 1200 auf Miyajima, aber diese folgen den Touristen Schritt auf Tritt. Füttern darf man die Tiere natürlich nicht, aber es kommt natürlich trotzdem vor. Einige Läden verkauften sogar spezielle „Hirschkekse“.
Hirsche und Affen gelten im Shintō als Boten der Götter und sind daher heilig, was im Falle der Sika-Hirsche von Miyajima sogar ganz weltliche Konsequenzen hatte. Im Jahr 768 wurden sie von den Behörden unter offiziellen Schutz gestellt, und bis 1637 stand auf die Tötung eines Hirsches die Todesstrafe. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verloren die Hirsche – zusammen mit dem Tennō, dem Kaiser Japans – all ihre göttlichen Sonderrechte.
Der lokale Touristenmagnet ist eigentlich der Itsukushima-Schrein (嚴島神社, UNESCO-Weltkulturerbe), dessen Name auf den echten Namen der Insel – Itsukushima – zurückgeht. Myajima bedeutet wörtlich übersetzt Schrein-Insel und diente wohl eher als touristische Beschreibung, hat sich aber im Sprachgebrauch durchgesetzt. Ich habe den Itsukushima-Schrein nicht besucht, da es sich nüchtern gesehen nur um einige rot-weiße Hütten am/auf dem Wasser und eine Brücke handelt. Vor dem Eingang hatte sich eine lange Schlange gebildet, welche sich im Kern bis zum Ende des langen Stegs fortsetzte, wo sich jeder Besucher mit dem großen Torii im Hintergrund ablichten ließ. Ein bisschen wie am Nullmeridian in Greenwich.
Da es auf Miyajima keinen Mangel an religiösen Stätten gibt, habe ich mich statt dessen auf den Weg zum weniger bekannten Daishō-in (大聖院) gemacht. Dass dieser eigentlich auch Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist, scheint aus mir unbekannten Gründen immer wieder vergessen zu werden.
Der Daishō-in
Dieser buddhistische Komplex liegt oberhalb des Itsukushima-Schreins an einem Hang. Mehrere Treppen und Wege ziehen sich den Berg hinauf, man sollte also gut zu Fuß sein. Aber die Strapazen lohnen sich definitiv! Denn wie schon an anderer Stelle bemerkt, gibt es in Japan nur wenige Anlagen, welche es auf ein Alter von mehr als 1200 Jahren (!) bringen und gleichzeitig auch noch in eine so wunderschöne Landschaft eingebettet sind 🙂
Im September 1991 hatte ein Taifun große Teile der Anlage schwer beschädigt (ich kann ja auch ein Lied von Taifunen singen…), der Wiederaufbau dauerte bis 1998. Während der 1200-Jahr-Feier im Jahr 2006 verbrachte der 14. Dalai Lama sogar eine komplette Woche im Tempel.
Die vielen Statuen hatten es mir vom ersten Moment an angetan, sie säumten die Treppen und Wege und standen generell an allen möglichen Ecken. Viele hatten auch ihren ganz eigenen Charakter und waren liebevoll geschmückt.
Schnauf. Stufe um Stufe ging es weiter nach oben, stellenweise vorbei an Gebetsmühlen. Ursprünglich sollten Analphabeten mit den Gebetsmühlen in die Lage versetzt werden, positives Karma zu erhalten. Eine Umdrehung war so viel wert wie das Lesen der Inschrift.
Irgendwie scheint es dann aber eine Inflation gegeben zu haben, denn im Daishō-in soll eine einzige Umdrehung so viel Glück bringen wie die Lektüre des ganzen Hannya shingyō, des Herz-Sutra. Zwar gehört dieser Text noch zu den kürzeren buddhistischen Sutren, die deutsche Übersetzung hat aber immer noch um die 240 Worte. Ich habe also wahrscheinlich beim Auf- und Abstieg mein Karma um den Wert ganzer Bände buddhistischer Lehren verbessert 😉
Wie in vielen andere Anlagen gab es auch hier eine der Göttin Kannon geweihte Halle. Kannon gilt unter Buddhisten wohl als die beliebteste Göttin, da sie für Frieden, Mitgefühl und Mitleid steht. In Japan gibt es so viele Kannon-Schreine und -Tempel, dass man alleine an den großen Schreinen entlang durch das ganze Land pilgern kann. Häufig werden Pilgerwege aus je 33 Station gebildet, zum Beispiel beim Saigoku-Pilgerweg (33 Kannon geweihte Stationen im weiten Umkreis von Kyōto und Osaka) oder dem Chūgoku-33-Kannon-Pilgerweg (33 Stationen zwischen Himeji und Shimonoseki).
Apropos Inflation: Wer den Daishō-in am Tag des Kannon-Festivals (2018 wird es am 10. August stattfinden) besucht, bekommt Karma im Wert von 48.000 Besuchstagen gutgeschrieben. Da dem durchschnittlichen Menschen nur etwa 30.000 Lebenstage zur Verfügung stehen, kam mir mein Besuch mitten im Oktober plötzlich etwas ineffizient vor…
Die Fähigkeit der Baumeister, Priester und Mönche, ihre religiösen Bauten mit der Natur in Einklang zu bringen, war wie immer höchst bewundernswert. Ich denke der Ausdruck „Oase der Ruhe“ bringt es gut auf den Punkt.
Der Mount Misen (弥山)
In Japan ist ja grundsätzlich alles bergig, und das gilt auch für Inseln. Auf ganze 535 Meter Meereshöhe bringt es der höchste Berg, der Mount Misen. Wer genug Zeit und Kondition mitbringt, kann auch nach oben wandern. Alle anderen schleppen sich bis zur Talstation der beiden Seilbahnen, müssen sich dann aber auch mit den 1800 Yen (ca. 14 Euro) für die Hin- und Rückfahrt und den langen Schlangen abfinden.
Von der Bergstation aus waren es dann noch mal 20 Minuten und 150 Höhenmeter bis zum eigentlichen Gipfel. Der Wanderweg führte immer wieder an kleineren Schreinen, Tempeln und Statuen vorbei.
Endlich oben angekommen eröffnete sich mir ein wirklich grandioses Panorama auf die Insellandschaft in der Seto-Inlandsee (瀬戸内海), insbesondere die große Insel Etajima (江田島市). In entgegengesetzter Richtung liegt die Küstenstadt Hatsukaichi (廿日市市).
Nach diesem langen und anstrengenden Tag machte ich mich wieder an den Abstieg und schaffte es gerade noch, einen Platz in der Seilbahn zu ergattern. Je nach Jahreszeit stellen die Bahnen ihren Betrieb um spätestens 17:30 Uhr ein, man sollte also gleich morgens anrücken oder muss im schlimmsten Fall im Dunkeln zu Fuß ins Tal laufen. Letzteres sollte man explizit vermeiden. In den letzten Jahren haben sich immer wieder Touristen in den weitläufigen Bergen verirrt, verletzt oder sind sogar zu Tode gekommen 😯
Das große Torii in der Bucht vor dem Itsukushima-Schrein ist wahrscheinlich eines der am meisten fotografierten Bauwerke in ganz Japan, aber die wenigsten Besucher bleiben bis zum Sonnenuntergang auf der Insel. Die meisten Bilder zeigen das Torii daher bei strahlendem Sonnenschein, je nach Gezeiten auch auf dem Trockenen. Eine Schande, wie ich finde, denn die Fähren fahren teilweise noch bis nach 22 Uhr. Als sich die Straßen und Wege langsam leerten, habe ich mich auf eine Ufermauer gesetzt und gewartet.
Kurz nach 17 Uhr drückte ich auf den Auslöser, und dreißig Sekunden später fiel folgendes Bild aus der Kamera.
Nächster und letzter Stopp auf meiner Japan-Rundreise: Nagasaki 🙂
Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.