Vom Winde verweht in Fukuoka

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Es war Mitternacht in Kyōto, ich saß im Aufenthaltsraum meiner Unterkunft und hatte die Schnauze voll. Es hatte seit meinem Besuch in Nikkō nur geregnet. Eigentlich waren für Kyōto und Osaka fünf Tage eingeplant, aber so ergab das alles keinen Sinn mehr. Vor Allem weil der freundliche Japaner neben mir gerade erklärt hatte, was wirklich los war: Taifun Lan war zu einem Supertaifun heraufgestuft worden und würde in den nächsten Tagen auf einer Linie über Osaka und Tokio ziehen. Kyōto liegt praktisch neben Osaka. Die Vorhersage erwähnte Windgeschwindigkeiten von 130 km/h, und selbst falls es weniger schlimm würde, der Regen würde bleiben.

Am Tag zuvor war ich mit dem Shinkansen für einen Tag ins 220 Kilometer entfernte Okayama geflüchtet und hatte dabei gelernt, welchen Unterschied ein Ortswechsel in solchen Fällen machen kann. Dort war es nicht nur windstill gewesen, sondern sogar fast wolkenlos. Es half also schlussendlich alles nichts – ich konnte weiter meine Zeit in Kyōto verschwenden, oder irgendwo hin flüchten und später wieder zurückkommen. Einen weiteren Blick auf die Wettervorhersage später war die Entscheidung klar: Fukuoka (福岡市), eine kleine Stadt der Größe Münchens oder Barcelonas ganz im Südwesten. Den Namen kannte ich nur vom Hörensagen, ich hatte dort keinen Besuch eingeplant, aber von allen Orten in Reichweite sah die Prognose noch am Besten aus.

„Supertaifun? Welcher Supertaifun?“

Wenn mich etwas in Japan wirklich verwirrt hat, dann die Abgebrühtheit der Japaner im Umgang mit Naturkatastrophen. Diese kommen so häufig vor, dass man sich davon einfach nicht beeindrucken lassen darf, sonst kommt man ja zu gar nichts mehr. Im Falle eines Supertaifuns bedeutet das, dass die Bevölkerung so lange draußen bleibt und ihren normalen Tätigkeiten nachgeht, bis es wirklich gar nicht mehr geht. Aber eben keine Minute kürzer.

Im Momochi Seaside Park (シーサイドももち) war beispielsweise ein Fußballturnier angesetzt gewesen, und dieses wurde auch so lange durchgezogen, bis der Ball wegen des Windes nicht mehr sauber kontrolliert werden konnte 😯

Angefeuert wird in Japan wohl übrigens mit diesen „Cheering Sticks“ aus Metallfolie. Statt zu klatschen, schlägt man die Sticks aneinander, wobei ein metallisches Geräusch entsteht.

Auch wenn der Wind zu Beginn noch zu schwach war, um den Ball wegzublasen, kamen die Wellen doch schon gefährlich nahe ans Spielfeld. Was macht der Japaner in so einem Fall? Genau, man drückt dem Sicherheitspersonal kurzerhand ein paar Schaufeln und Eimer in die Hand und erklärt es zu Dammkonstrukteuren!

In unmittelbarer Nähe des Momochi Seaside Park steht der 234 Meter hohe Fukuoka Tower (福岡タワー), und dorthin kämpfte ich mich gegen den Wind durch. Nicht, dass das bisschen Wind dem Turm etwas hätte anhaben können. Die eckige, superleichte Konstruktion hält angeblich Erdbeben der Stärke 7 und Windgeschwindigkeiten von bis zu 233 km/h stand.

Von der Aussichtsplattform in 123 Metern Höhe (Eintritt: 800 Yen / ca. 6,20 Euro) wurde erst wirklich deutlich, wie sehr sich die japanische Definition von „Naturkatastrophe“ von meiner eigenen unterschied. Während ich schon Schwierigkeiten damit hatte, mich gegen den Wind durchzukämpfen oder auch nur auf Kurs zu bleiben, wenn mir der Wind in den Rücken blies, wurde unten noch fröhlich geheiratet. Gut, der Brautstrauß landete dann doch ganz woanders, aber wen interessiert das schon… 😉

Innerhalb von nur zwei Stunden stieg die durchschnittliche Windgeschwindigkeit auf über 80 km/h, mit Böen von über 100 km/h. Und ich dachte so bei mir: Wenn die Japaner das locker aushalten, dann du als großer, starker Europäer doch auch. Also die ganze Ausrüstung in den Rucksack gepackt, Regenschutz drüber, und hinunter an den Strand…

Der Regen kam horizontal statt vertikal, und ich musste mich mit meiner Kamera hinter einem dicken Betonpfeiler verstecken, um nicht weggeblasen zu werden. Rundherum knirschten die Bäume. Hinterher erfuhr ich, dass die Windgeschwindigkeit stellenweise bei über 110 km/h lag!

Der Kushida-Schrein (櫛田神社)

Dieser wichtige Schrein liegt im Stadtteil Hakata (博多区), welcher bis 1889 eine eigene Stadt war. Angeblich reichen die Wurzeln zurück bis ins Jahr 757 n. Chr. Die lange Tradition zeigt sich alleine schon in den vielen, reich geschmückten Eingangstoren und Gebäuden!

Wieder mal Glück gehabt: Am 23. und 24. Oktober 2017 fand das Hakata Okunchi Festival statt. Ein mobiler Schrein wird durch den Stadtteil getragen, es gibt einen Sumo-Wettkampf und vieles mehr. Aber am schönsten war die Beleuchtung des Schreins mit Tausenden von Kerzen 🙂

Ab ins Rotlichtviertel…

Fukuoka hat ein erstaunlich großes Rotlichtviertel namens Nakasu (中洲), welches in seiner Größe in Westjapan nur von Osaka übertrumpft werden soll. Nakasu liegt nur etwa 15 Minuten zu Fuß vom Shinkansen-Bahnhof Hakata (博多駅) und nur knapp fünf Kilometer vom Internationalen Flughafen Fukuoka (福岡空港), welcher wiederum in nur 50 Flugminuten von Busan, in 70 Minuten von Seoul und in zwei Stunden von Shanghai erreicht werden kann.

Fūzoku (風俗, Prostitution) ist in Japan eigentlich seit 1956 verboten, aber es gibt so viele Schlupflöcher und Ausnahmen, dass der Jahresumsatz des Gewerbes auf über 20 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. In Nakasu drängen sich so viele Cafes, Nachtclubs und andere Vergnügungsbetriebe, dass man sich häufig wundert, wie die ganzen auf den Neonschildern angepriesenen Einrichtungen in das selbe Stockwerk eines einzigen Gebäudes passen sollen…

Aber auch sonst gab es in Fukuoka nachts vieles zu entdecken. Diese beiden Herren (und die Dame im Kostüm) schienen auf dem Nachtmarkt eine Art Wettbewerb abzuhalten, aber nicht so wirklich mit der Leistung des aktuellen Kandidaten zufrieden zu sein…

„Halloween-Crêpe“ mit Kürbis, Schokokuchen und undefinierbarer violetter Soße gefällig? Mit nur 420 Yen (ca. 3,20 Euro) sogar recht erschwinglich 😉

„Will you give me money for the picture?“, fragte mich die Dame mit der schrägen Stimme auf einer Brücke. Natürlich hätte ich das auch so getan, und zum Dank gab es eine Trommel in die Hand und die Frage „How do you say Thank You in German?“. Während sie auf der verstimmten Gitarre ein improvisiertes Lied aus exakt zwei Worten („Dankeschön“ und „Arigatou ありがとう„) vortrug, sollte ich den Takt schlagen.

Klingt schaurig, war es für die Zuschauer sicher auch, aber wir waren doch eh gerade bei Halloween… 😉

Nanu? „Oktoberfest Fukuoka“? Vielleicht sollte ich da mal schnell vorbeischauen… 😉

Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.

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