Kamakura: Tempel im Überfluss

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Meine Route innerhalb Japans findet ihr hier.

Mein dritter Tagesausflug ab Tokio ging nach Kamakura (鎌倉市). Diese mit knapp 170.000 Einwohner für japanische Verhältnisse recht kleine Stadt liegt knapp 50 Kilometer von Tokio entfernt an der Küste, nicht weit von Enoshima. Ich bin wieder mit der Odakyu Electric Railway ab Shinjuku gefahren, zum Preis von 670 Yen (ca. 5 Euro) pro Richtung. Die Fahrt dauerte knapp eine Stunde, und mittlerweile hatte ich auch den Dreh raus.

In Kamakura ging ich als erstes direkt zum Fahrradverleih und investierte 1800 Yen Tagesmiete (ca. 13 Euro) in ein Fahrrad mit Gangschaltung. Viel besser und schneller kann man sich hier nicht fortbewegen, aber man sollte auch nicht wegen ein paar Hundert Yen auf die Gangschaltung verzichten – es kann steil werden!

Kamakura war ab dem 9. Jahrhundert die wichtigste Stadt der ganzen Kantō-Region (Tokio hatte damals noch keine Bedeutung) und von 1185 bis 1333 sogar der Regierungssitz Japans. Erst als das Kamakura-Shogunat 1333 gestürzt wurde, wechselte der Regierungssitz wieder nach Kyōto. Zu diesem Zeitpunkt hatte ganz Japan weniger als zehn Millionen Einwohner.

Was also heute wie eine kleine Stadt wirkt, muss damals sehr beeindruckend gewesen sein – vor Allem wegen der vielen, immer noch sehr gut erhaltenen Tempelanlagen. Viele davon liegen auch in den Wäldern und auf den Hügeln in der der Umgebung, man könnte wahrscheinlich problemlos Tage und Wochen umherwandern und hätte trotzdem nicht alle gesehen 😯

Tsurugaoka Hachiman-gū (鶴岡八幡宮)

Diese fast 1000 Jahre alte Anlage ist der wichtigste Shintō-Schrein von Kamakura. Im Prinzip ist die Stadt einfach darum herum gewachsen.

Über die ersten 700 Jahre war der Tempel sowohl ein buddhistisches als auch ein shintoistisches Heiligtum, woraus sich die Ausrichtung aller Wege und Gebäude nach den Prinzipien des Feng Shui ergibt: ein Berg im Norden, ein Fluss im Osten, eine große Straße im Westen, und „Offenheit“ (in Richtung Meer) im Süden. Die vier Götter Genbu (Schwarze Schildkröte), Seiryū (Blauer Drache), Byakko (Weißer Tiger) und Suzaku (Roter Vogel) beschützen die Anlage in Richtung Norden, Osten, Westen und Süden. Die Weiden symbolisieren den Blauen Drachen, die Trompetenbäume den Weißen Tiger. Völlig logisch, oder? 🙂

Es war wie immer erstaunlich, wie gut sich die traditionelle japanische Architektur in die Natur einfügte. In Europa stehen meist Kirchen aus Stein oder Beton in einer städtischen Stein- oder Betonwüste, Taubennetze hängen vor allen Öffnungen, die Wege sind gepflastert, das Gras (falls vorhanden) lieblos mit dem Rasenmäher getrimmt.

Nicht so in Japan. Jahrhundertealte Holzbauten und künstliche Seen fügen sich zwischen Bäume und Sträucher, Treppen passen sich an die Geometrie des Geländes an, und wenn schon getrimmt wird, dann nach genau festgelegten Regeln. Ich habe im durchschnittlichen japanischen Tempel mehr Ruhe genossen und mehr Tiere gesehen als in den meisten europäischen Parkanlagen, von Kirchen oder Klöstern ganz zu schweigen.

Aber es wäre natürlich nicht Japan, wenn nicht auch ein bisschen Ordnung sein müsste 😉 Auf diesem Foto sieht man Schließfächer für… genau, Regenschirme.

Wer sich in den größeren Shintō-Schreinen bewegt, stolpert unvermeidbar über riesige Regale mit großen Fässern. Es handelt sich dabei um Kazaridaru (飾り樽), Fässer für Sake (, Reiswein). Wein und Religion gehörten in Japan schon immer zusammen, Sake wird traditionell den Göttern geopfert und während religiöser Feste auch in Schreinen ausgeschenkt. Nur vier Schreine in Japan dürfen selbst Sake brauen, deswegen wird der Wein für die Feste üblicherweise von den lokalen Brauereien gespendet, und zum Dank stellt der Schrein die gespendeten Fässer aus.

Man kann diese Fässer übrigens auch für den Privatgebrauch kaufen, was vor Allem zu Neujahr, bei Hochzeiten oder der Einweihung von Gebäuden beliebt ist. Wer nicht die ganzen 72 Liter trinken will, kann auch einen falschen Boden einsetzen und das Volumen etwas reduzieren lassen 😉

Hōkai-ji (法界寺)

Diese unscheinbare, fast schon überwucherte buddhistische Tempelanlage ist so stark mit der Geschichte Japans verbunden wie nur wenige andere Orte. Als das Kamakura-Shogunat am 4. Juli 1333 durch einen feindlichen Angriff gestürzt wurde, begingen 870 Mitglieder des herrschenden Hōjō-Clans Selbstmord, um der Niederlage zu entgehen – Männer, Frauen und Kinder. Mit einem Schlag war ein ganzer Familienclan, welcher Japan 135 Jahre lang regiert hatte, ausgelöscht. Die Seelen der Toten wurden später hier eingeschreint.

Orte zum mithören: Auf Play drücken und in eine buddhistische Zeremonie eintauchen! Die Kombination aus Naturgeräuschen, Trommeln und der Glocke hatte schon etwas Magisches 🙂

Kōtoku-in (高徳院)

Dieser Tempel liegt im Südwesten der Stadt und damit sozusagen „weit ab vom Schuss“. Die einzige Attraktion ist der große Buddha, welcher gegen Eintritt auch von innen besichtigt werden kann. Das klingt spektakulärer, als es ist – beim nächsten Mal würde ich mir die Anfahrt sparen.

Hōkoku-ji (報国寺)

Einer der bekanntesten Tempel in Kamakura ist der „Bambustempel“ Hōkoku-ji etwa zweieinhalb Kilometer vom Bahnhof entfernt. Auf dem Gelände wachsen etwa 2.000 Bambuspflanzen, wer auf die 200 Yen (ca. 1,50 Euro) noch 500 Yen (ca. 3,80 Euro) drauflegt, darf im Teehaus an der beliebten Teezeremonie teilnehmen.

Auch sehr beliebt bei Touristen: Einen traditionellen Kimono ausleihen und sich einen Tag lang wie im 13. Jahrhundert fühlen. Diese beiden Damen hatten sich bereit erklärt, für ein Foto zu posieren, und ich habe ihnen dafür die Aufnahmen per E-Mail zugeschickt. Das absolute Minimum, was man als Fotograf bei solchen Aufnahmen tun sollte, wie ich finde!

Kenchō-ji (建長寺)

Keuch. Wer diesen Zen-Tempel besuchen will, muss erst mal einen Hügel hoch laufen/treten und durch einen Straßentunnel, aber es lohnt es sich! Gut, außer man spielt Pokémon GO, dann muss man sowieso draußen bleiben…

Fast alles im Kenchō-ji ist ein „Nationalschatz“ oder ein „Wichtiges Kulturgut Japans“. Die Anlage war im Tempelrangfolgensystem des 14. Jahrhunderts ein Tempel ersten Ranges, gleichgestellt war nur der Nanzen-ji (南禅寺) in Kyōto. Bis zu den großen Feuern im 14. und 15. Jahrhundert soll es bis zu 49 Untertempel auf dem Gelände gegeben haben. Noch heute gibt es zusätzlich ganze 500 Zweigtempel im Rest des Landes.

Das Sanmon (三門) ist das wichtigste Tor jedes Zen-Tempels. Im Kenchō-ji ist es besonders groß und eindrucksvoll.

Die Butsuden (仏殿, Halle des Buddha) ist die Haupthalle der Anlage. Das komplette Gebäude wurde 1647 Stück für Stück aus dem Zōjō-ji-Tempel in Tokio hertransportiert.

Im Hattō werden alle öffentlichen Zeremonien abgehalten. Das Gebäude ist das größte buddhistische Bauwerk aus Holz in Ostjapan, berühmt ist es aber weniger für seine Größe, sondern für die erst 2003 hinzugefügte Deckenmalerei eines Drachen. Maler Koizumi Junsaku ist für dieses Kunstwerk mit 79 Jahren noch mal auf die Leiter gestiegen.

Das schon von weitem zu sehende, goldene Karamon (唐門) wurde 1647 zusammen mit dem Butsuden hertransportiert.

Müde und geschafft vom vielen Strampeln ging es dann zurück Richtung Bahnhof. Bevor es aber zurück nach Tokio ging, war noch ein Besuch in einem weiteren Animal Café fällig 😉

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