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Für deutsche Verhältnisse wäre Andong (안동시) mit seinen 185.000 Einwohnern eine Großstadt, aber in Südkorea schafft man es damit gerade noch so auf die Liste der „Städte“. Seoul (10 Millionen), Busan (3,5 Millionen), Incheon (3 Millionen) und Daegu (2,5 Millionen) liegen in ganz anderen Regionen. Mehr als 50 Städte des Landes sind größer als Andong. Ein Dorf quasi. Was wollte ich in einem Dorf?
Die Antwort ist einfach und fast schon traurig: Wer in Südkorea etwas wirklich Altes und Traditionelles sehen will, hat es recht schwer. Hochhaus links, Wolkenkratzer rechts, dazwischen Autos, dazu noch eine überwiegend atheistische Bevölkerung im Turbokapitalismus-Modus. In Andong sieht es ausnahmsweise besser aus, denn in einiger Entfernung liegen sowohl das historische Dorf Hahoe als auch Dosan Seowon, einer der wenigen erhaltenen konfuzianischen Komplexe aus dem 16. Jahrhundert. Und weil ich gut geplant hatte, fiel auch noch das alljährliche Internationale Maskenfest mit meinem Besuch zusammen.
Anreise und Unterkunft
Ich war spät abends nach meinem Besuch in der DMZ noch mit dem Bus aus Seoul angereist. Die Fahrt dauerte nur knapp drei Stunden, war sehr bequem und kostete 16.500 Won (knapp 13 Euro). Wie man in Südkorea an ein Ticket für einen Langstreckenbus kommen kann, auch wenn einen niemand versteht, habe ich hier beschrieben. Der Busbahnhof lag mal wieder weit außerhalb der Stadt, etwa fünf Kilometer, also musste ein Taxi her.
Nicht wirklich schwierig, direkt vor der Tür wartete schon eine ganze Kolonne der in ganz Südkorea für ihr Verhalten berüchtigten Andonger Taxifahrer. Es ist dunkel und kalt? Dann wird einfach vom Fahrersitz aus der Kofferraum geöffnet, der Kunde darf selbst wuchten, und den Deckel dann auch brav selbst schließen. Der Fahrer hat entweder keine Lust, dann laufen auf dem Entertainmentsystem koreanische Seifenopern und der Kunde wird ignoriert, oder er hat zu viel Lust, dann wird die Straßenverkehrsordnung ignoriert. Englisch versteht sowieso keiner, also immer eine Bestätigung oder eine Visitenkarte des Hotels dabei haben, oder zumindest den Namen des nächsten größeren Orientierungspunktes, von welchem man notfalls laufen kann. Nur große Scheine zum Bezahlen dabei? Schade, der Fahrer hat kein Wechselgeld… Und so weiter. Glücklicherweise wusste ich schon, was mich erwartet.
Geschlafen habe ich im Galleria Hotel für 46 Euro pro Nacht. Nicht ganz billig, aber das Zimmer hatte dafür auch die Größe einer Suite, und alles war genau so poppig bunt, kuschelig und weich, wie man es sich wohl sonst eher in einem Bordell vorstellt 😉
Die Innenstadt war sehr überschaubar. Ein Einkaufszentrum, der Bahnhof, viele Restaurants, einige Läden. Ein kleiner überdachter Bereich, welcher als „Street Market“ durchging. Die Restaurants machten meistens schon um 21 Uhr dicht, die Stadtjugend feierte dann eben notgedrungen in den Parkhäusern weiter. Fast überall war es dreckig und chaotisch.
Das größte Problem lag allerdings darin, brauchbare und aktuelle Informationen über den Nahverkehr herauszufinden. Ich wusste, dass ein Ticket für eine einfache Fahrt nur 1.300 Won (einen Euro) kosten würde, aber welche Buslinie fuhr denn nun wohin? Und von wo? Und wann? Ich war erst seit einer Woche in Südkorea und konnte leider noch nicht so gut Koreanisch lesen wie dann später in Gyeongju und Busan. Das Internet war keine Hilfe. Falls überhaupt etwas zu finden war, dann waren die Informationen ungenau und schon mehrere Jahre alt.
Glücklicherweise war ja gerade Internationales Maskenfest, und jemand hatte ein beidseitig bedrucktes Blatt mit allen nötigen Informationen in den Hotels verteilt. Das nette Ehepaar an der Rezeption konnte zwar selbst kaum etwas davon lesen, aber für mich kam es genau richtig. Falls also jemand verzweifelt nach einem Haltestellenplan und den Abfahrtszeiten für die Stadtbusse in Andong suchen sollte, hier ist der Stand von Oktober 2017:
Dosan Seowon Akademie
Der Konfuzianismus kam direkt aus China auf die koreanische Halbinsel, und obwohl er als Lehre an sich keine Rolle mehr spielt, hat er die Gesellschaft sehr stark geprägt. Moralvorstellungen, das Verhältnis zwischen Alt und Jung, Rituale und Zeremonien, die Basis des Rechtssystems, in vielem spiegelt sich der Konfuzianismus noch immer wider.
Die Dosan Seowon Akademie liegt knapp 25 Kilometer nordöstlich vom Stadtzentrum an einer Flussbiegung mitten in einem kleinen Tal im Wald. Ab 1549 hat Meister Yi Hwang hier seinen Ruheort zur Privatschule ausgebaut. Zu seiner eigenen Wohnung kamen nach und nach ein Vorlesungssaal, ein Schlafsaal für die Schüler, ein Lotusteich, und das eine oder andere Gebäude für die Bediensteten. Für die nächsten 400 Jahre, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, galt Dosan Seowon als eine der führenden Einrichtungen in Korea. Heute bringen Reisebusse einheimische Touristen zum nahen Parkplatz, aber zwei Mal im Jahr werden noch traditionelle Zeremonien durchgeführt.
Neben den vielen schönen Gebäuden konnte man hier auch wunderbare Detailaufnahmen machen. Viele der Holzbalken und Malereien müssen mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel haben!
Kein Wunder, dass Meister Yi Hwang sich genau hier niedergelassen hat…
Andong International Maskdance Festival
Dieses Festival findet schon seit bald zwanzig Jahren statt und dauert mittlerweile zwei Wochen. Dieses Jahr gab es 50 verschiedene Veranstaltungen, darunter Vorstellungen auf öffentlichen Bühnen und in einem Theater. Während der letzten Tage traten die besten Maskentänzer in einem Wettbewerb an, welcher im Fernsehen übertragen wurde.
Was auf folgendem Bild passierte? Ich habe wirklich absolut keine Ahnung.
Die vielen Teilnehmer waren nicht nur auf dem Festgelände südlich der Stadt anzutreffen, sondern auch in der Innenstadt. Dann besonders gerne zu sehr, sehr lauter Musik tanzend.
Der Koreaner ist natürlich geschäftstüchtig und baut das Ganze dann auch sofort zu einem ziemlich guten Volksfest aus. Die ganze Straße entlang des Festivalgeländes war links und rechts mit Ständen gesäumt. Allein deswegen hatte sich der Besuch schon gelohnt!
Wahrsagerei hatte Hochkonjunktur. Diese Dame war nur eine von vielen, welche sich nebeneinander an kleinen Tischchen drängten.
Andong war auch einer der wenigen Orte, an welchen das Essensangebot dem Hype gerecht wurde. Hier gab es wirklich alles. Vom Spanferkel…
…über Walfisch (!)…
…bis zu „French Fry Corn Dogs“, mit Maisteig und Pommes Frittes umhüllten und dann frittierten Würstchen.
Gegessen wird natürlich auch auf dem Volksfest ganz vorbildlich am Tisch!
Diese „Ice Cream Rolls“ wären wahrscheinlich ein Verkaufsschlager, wenn es nicht so ewig dauern würde, eine einzige Portion herzustellen…
Aber Ice Cream Rolls sind auch schon wieder Schnee (haha) von gestern. Der letzte Schrei: Eiskrem aus Reis. Schmeckte nach nichts, hatte irgendwie eine seltsame Konsistenz, und die Eismaschinen verschluckten sich auch ständig daran. Aber was ist ein Asiate schon ohne seinen Reis!
Hahoe Folk Village
Dieses Dorf 25 Kilometer westlich der Innenstadt gilt als der „am meisten koreanische Ort“ Südkoreas. Es handelt sich um eines der letzten Dörfer, welche noch aus traditionellen Häusern bestehen. Der UNESCO war das auf jeden Fall den Weltkulturerbestatus wert.
Das Hahoe Folk Village war auch in das Maskenfestival eingebunden. Auf einer kleinen Bühne führte eine Gruppe von Freiwilligen traditionelles koreanisches Theater in traditionellen Gewändern auf. Ich habe zwar kaum etwas verstanden, aber das war auch gar nicht so wichtig. Es gibt viele gemeinsame Themen in den Theaterstücken verschiedener Völker, und sehr vieles wird durch Mimik, Gestik und Betonung unterstrichen.
Dieser Darsteller trug eine der für Hahoe typischen Hahoetal-Masken. Er hielt zuerst einen längeren Monolog, dem Kostüm und den Gesten nach wohl über seine Tätigkeit als Jäger und Sammler, …
… dann kam ein Stier um die Ecke (man beachte die anatomische Korrektheit 😉 ), …
… es kam zum Angriff, …
… und die Sache endete tödlich.
Von Hahoe aus kann man für 3.000 Won (ca. 2,20 Euro) pro Richtung mit einer kleinen, selbst gezimmert Fähre auf die andere Seite der Flussschlinge übersetzen, in welcher das Dorf liegt und von welcher es seinen Namen bekommen hat. Ha bedeutet auf koreanisch Fluss, und Hoe so viel wie umdrehen, zurückkommen. Ein Ausflug, welcher sich definitiv lohnt. Innerhalb von drei Minuten hat man die Touristen hinter sich gelassen und steht mitten in der Natur. Über Waldwege kann man eine Felsklippe erreichen.
In Europa selten zu sehen, in Korea überall: Kakis. China, Japan und Korea liefern insgesamt etwa 90% der weltweiten Ernte. Allerdings haben diese Varianten hier oft Kerne.
Auf dem Felsen wurde schon das Feuerwerk für den Abend vorbereitet. Genau wie bei der Elektrizität haben es die Koreaner offensichtlich auch in Punkto Sprengstoff nicht so mit der Sicherheit. In Europa wäre dieser Ort abgeriegelt gewesen, in Südkorea reichte ein buntes Band als Absperrung. Dass darunter ständig koreanische Frauen durchkrabbelten, um ein Selfie zu schießen, hat niemanden interessiert.
Traditionell für Hahoe ist eine besondere Art von Feuerwerk. Über die gesamte Länge zwischen der Felsspitze und dem gegenüberliegenden Ufer werden Seile gespannt, welche wie eine Wäscheleine weitergezogen werden können. Sobald es dunkel wird, werden daran langsam abbrennende Feuerwerkskörper angebracht, angezündet, die Seile weiter geschoben, und der nächste Feuerwerkskörper angebracht. Am Ende sind es Hunderte, und der Effekt machte wirklich was her.
Parallel dazu werden unter lauten „Nakwha-ya„-Rufen große, brennende Klötze von der Klippe gestoßen, Kerzen treiben den Fluss herunter, und Lampions steigen in den Himmel auf. Am Ende gab es dann noch das „richtige“ Feuerwerk nach moderner Art.
Nach diesen mehr als gelungenen beiden Tagen in Andong ging es weiter zur nächsten Station: Gyeongju!
Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.