Die andere Seite von Jekaterinburg

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Ich bin kein großer Freund von „normalen“ Touristenattraktionen. Natürlich sind manche sehr schön, aber ich habe auf meinen Reisen eben schon sehr, sehr viele Gotteshäuser, Museen, Brücken, Stadtmauern, Einkaufszentren und so weiter gesehen. Deswegen zieht es mich dann immer sehr schnell in die Seitenstraßen und Außenbezirke abseits vom Trubel.

Man erlebt dort den Unterschied zwischen Touristen und Einwohnern, in welchen Verhältnissen die Einwohner leben, wo sie einkaufen, ob das angebliche Nationalgericht wirklich so beliebt ist, und so weiter. Sehr oft findet man die wirklich interessanten Attraktionen eben nicht auf Platz 1 bei TripAdvisor. Zwischen einem Städtetrip und einem Abenteuer liegen manchmal nur fünfzehn Minuten Fußweg und drei Worte Russisch 🙂

Zwei weniger bekannte Attraktionen Jekaterinburgs liegen an der Metro-Station Geologitscheskaja (Геологи́ческая): der Zirkus und die Ruine des Fernsehturms.

Der Zirkus für 2600 Zuschauer ist immer noch in Betrieb. Die Jahrmarktsattraktionen vor dem Gebäude haben aber wahrscheinlich schon etwas bessere Zeiten gesehen.

Wer würde sich wohl nicht gerne in diese sehr sicher aussehende High-Tech-Attraktion setzen? 😉

Der Fernsehturm wurde ab Anfang der 1980er Jahre gebaut und sollte der Welt zeigen, wozu die Sowjets fähig waren. Je nach Quelle war eine Höhe zwischen 360 und 440 Metern geplant. Zehn Jahre später gab es schon keine Sowjetunion mehr, der Turm ist eine 220 Meter hohe Bauruine. Ich wäre ja gerne hochgeklettert, aber wegen der vielen Unfälle beim illegalen BASE-Jumping wurde der Eingang im Jahr 2000 endgültig versiegelt.

Auch andere Gebäude könnte man nach mitteleuropäischen Maßstäben wohl mit Ruinen verwechseln…

Der sowjetische Baustil ist natürlich noch überall zu sehen. Mit Stahl, Beton und Fertigteilen konnte man damals keine Wunder vollbringen, aber die Architekten haben es trotzdem versucht. Die folgenden zwei Gebäude bestehen im Kern aus den gleichen Fertigteilen, bis hin zum kleinen UFO auf dem Dach. Sieht etwas nach LEGO aus 🙂

Es geht auch etwas moderner, aber Beton bleibt Beton.

Ja, auch Jekaterinburg hat ein World Trade Center!

Die Einwohner dieser Häuserblocks erkennen den Eingang zu ihrer Wohnung wahrscheinlich nur an den unterschiedlichen Geschäften im Erdgeschoss. An den unterschiedlichen Fassaden kann man sich jedenfalls nicht orientieren!

Jekaterinburg ist eine vergleichsweise grüne Stadt mit vielen kleinen und großen Parkanlagen. Die Natur scheint sich hier auf jeden Fall sehr wohl zu fühlen.

Eine Rotdrossel wartet aufmerksam auf Futter…

…und fällt ein paar Sekunden später über einen Regenwurm her.

Allerdings wartet nicht nur die Rotdrossel auf Futter 😉

Bei mir machte sich dann auch langsam Hunger breit, und dieses Mal gab es Schawarma. In Deutschland würde man wahrscheinlich erst mal Yufka dazu sagen, aber Schawarma besteht normalerweise aus Lamm- oder Hammelfleisch. In Russland bekommt man es in jeder Ecke, das Fleisch wird zusammen mit Karotten und Gurken in ein eher hartes Fladenbrot gerollt. Ich hatte schon besseres Fast Food, aber mit 100 bis 120 Rubel (ca. zwei Euro) ist Schwarma unschlagbar billig.

Dazu gab es eine Dose MIO mit Erdbeergeschmack. Das Besondere an diesem Getränk? Es ist Russlands erster Milkshake mit Kohlensäure. Der Hersteller bezeichnet ihn als „jung, frech und dynamisch“. Ich wäre jedenfalls nicht auf die Idee gekommen, einen Milkshake mit Kohlensäure zu versetzen, und geschmeckt hat es… interessant. Aber die 45 Rubel (ca. 75 Eurocent) war mir das Experiment wert.

Wer in Russland ein Eis kauft, nimmt natürlich kein Magnum, sondern ein Magnat 🙂

Apropos einkaufen, wo kaufen die Einwohner eigentlich ein? Supermärkte gibt es mittlerweile an jeder Ecke, aber in den Neunzigern gab es keine Einkaufszentren. Auf dem Chinesischen Markt in einem Außenbezirk wurden damals Billigprodukte aus Asien verkauft, und heute ist daraus der Taganskii Rjad (Таганский ряд) geworden. Auf dieser riesigen Fläche stehen mehrstöckige Einkaufszentren, in denen sich Hunderte von winzigen Marktständen befinden.

Bogatto Jeans? Muss ein neuer Luxushersteller sein!

Ich fand den Taganskii Rjad nicht sehr interessant, die meisten Stände verkaufen die üblichen Klamotten und ich kannte das Prinzip auch schon aus Asien. Wer es authentischer mag, sollte zwei Straßenbahnstationen früher aussteigen und den Verh-Isetskij Rynok (Верх-Исетский рынок) besuchen.

Laut Schild hier noch im Angebot: Das gute Asbest (АСБЕСТ).

„Hey, Johnny, wie sieht es da unten aus? Alles bereit fürs Mittagessen?“

„Alles klar, Boss! Reiche Ernte!“

Die Schildkröte sieht etwas unzufrieden aus. Vielleicht möchte sie mehr Privatsphäre, oder der Preis von 250 Rubel (ca. vier Euro) ist ihr zu niedrig.

Welche Art Lurch hier wohl schwimmt?

Im nächsten und vorletzten Artikel zu Jekaterinburg geht es dann um Himmel, Hölle und übermenschliche Anstrengungen. Also einen ganz typischen Samstag in Russland 😉

Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.

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