Mit dem Mietwagen durch Belarus

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In Minsk gibt es bekanntlich nicht sonderlich viel zu sehen. Wer sich längere Zeit in Belarus aufhält, wird also noch andere Orte besuchen wollen. Für die Benutzung der staatlichen Eisenbahn und der Überlandbusse muss man viel Zeit mitbringen, daher greifen viele Touristen auf geführte Touren mit Kleinbussen zurück. Allerdings bietet sich Minsk durch seine Lage in der Mitte des Landes aber auch als Ausgangspunkt für eine Mietwagenrundreise an.

Folgende Sehenswürdigkeiten werden in eigenen Artikeln behandelt:

  • Der Lost Place „Druzhnyj“
  • Die Schlösser Mir und Njaswisch
  • Die Stalin-Linie

Den Mietwagen hatte ich vorab über billiger-mietwagen.de gebucht. Mein deutscher Führerschein im Scheckkartenformat wurde akzeptiert, ein Internationaler Führerschein war nicht nötig (ich hatte meinen aber trotzdem dabei).

Die Hauptverkehrsadern waren gut ausgebaut und meist auf dem Niveau vieler EU-Mitgliedsstaaten. Von den 14 Schnellstraßen führen sieben nach oder durch Minsk, zwei weitere verlaufen als Ringstraßen um die Hauptstadt. Die M1 ist Teil der Achse Polen-Moskau und als Einzige wirklich mit einer deutschen Autobahn vergleichbar. Für ausländische Fahrzeuge wird auf den Schnellstraßen eine Maut („BelToll“) fällig, Mietwagen haben ein nationales Kennzeichen und sind davon nicht betroffen.

Die Geschwindigkeitsbegrenzungen waren ein Kapitel für sich. Die Schilder waren meist winzig und oft mit Zusatztafeln wie „für die nächsten x Kilometer“ versehen. Aber wer merkt sich schon andauernd, dass man nach x Kilometern wieder mit der vorher festgelegten Geschwindigkeit fahren darf?

Glücklicherweise waren die in OpenStreetMap hinterlegten Daten für Belarus von ausgezeichneter Qualität, also konnte ich wie üblich die Android-App OSMAnd benutzen und mich bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von dieser warnen lassen. In der Praxis waren die stationären Radarfallen aber sowieso immer klar gekennzeichnet.

Auf den Straßen ging es so zu, wie es in Osteuropa eben meistens zugeht. Überholt wurde links und rechts, die zulässige Geschwindigkeit wurde entweder stark über- oder unterschritten, Fahrzeuge wurden an allen Ecken (auch gerne in Autobahnausfahrten…) abgestellt. Das Telefonieren am Steuer war üblich. Zudem sind die Schnellstraßen eben nur Schnellstraßen und keine Autobahnen und nicht komplett vom restlichen Straßennetz getrennt. Es gibt also Kreuzungen, Linksabbiegerspuren, Fußgängerübergänge etc., und das alles bei Tempo 100 oder sogar 120.

Radfahrer, Fußgänger, Blumenverkäufer und Angler benutzten die Seitenstreifen als Fahrspur, Verkaufsfläche oder einfach als Parkplatz. Nicht unbedingt etwas für schwache Nerven, aber ich war es schon gewohnt und es kam nicht zu gefährlichen Situationen. Begegnungen mit der Polizei gab es auch keine.

Seltsamkeit am Wegesrand: Anscheinend hatten einige Ausländer für ihre Kleinbustour eine „echte“ belarussische Gesangseinlage gebucht. Dass es gerade gewitterte, schien niemanden zu interessieren. Also stellten sich die zu 100% echten belarussischen Musikanten auf einen Parktplatz in den strömenden Regen, die Touristen fotografierten aus dem Auto heraus, und 60 Sekunden später war der Spuk wieder vorbei 😉

Wer ausgedehnte Weiten mit viel Natur mag, dürfte Belarus mögen. Das Land hat mit 9 Millionen Menschen ungefähr gleich viele Einwohner wie Österreich, ist allerdings doppelt so groß. Die Landschaft besteht hauptsächlich aus Wäldern, Feldern, Sümpfen und über 10.000 Seen. Der größte See, der Naratsch, ist fast genau so groß wie der Chiemsee.

Einige wenige Wasserstraßen sind schiffbar, zum Beispiel der Dnjepr-Bug-Kanal (Дняпроўска-Бугскі канал) zwischen dem Fluss Muchawez (Мухавец) bei Brest (Брэст) und der Pina (Піна) bei Pinsk (Пінск). Mit Hilfe der zehn Schleusen entlang dieses Kanals wurde eine Verbindung zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer hergestellt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde der Kanal vernachlässigt und die Schleusen versandeten. Der Binnenhafen von Brest ist heute nur noch aus der Ostsee erreichbar.

2003 verabschiedete die belarussische Regierung ein Programm zur Entwicklung der Binnenschifffahrt und sanierte einige Schleusen, der Betrieb könnte in den nächsten Jahren wieder aufgenommen werden. Ob allerdings bald wieder Schiffe von der Ostsee ins Schwarze Meer fahren werden, ist zu bezweifeln: Die Pina mündet auf dem Weg Richtung Ukraine in den Prypjat. Dieser fließt in einer Entfernung von nur etwa drei Kilometern am havarierten Atomkraftwerk Tschernobyl vorbei….

Berge im traditionellen Sinne gibt es keine, nur einige Hügelketten. Mit nur 345 Metern Höhe liegt die höchste Erhebung des Landes, die nach dem sowjetischen Revolutionär Felix Dserschinksi benannte Dsjarschynskaja Hara (Дзяржынская гара), nur etwa 120 Meter über der Hauptstadt. Dieser Ski-Abfahrtshügel musste daher stellvertretend für die nicht existenten Berge herhalten 😉

Viel flaches Land und ein mildes und niederschlagsreiches Sommerklima bilden eine gute Grundlage für eine ausgedehnte Landwirtschaft. Etwa die Hälfte der Fläche des Landes wird bebaut, knapp zehn Prozent der Menschen arbeiten in diesem Sektor. Zum Vergleich: In Deutschland sind es gerade noch 1,3 Prozent.

Allerdings ist auch die Landwirtschaft von Kollektivierung und Staatsbetrieben gekennzeichnet. Es gibt im Kern nur zwei Bereiche: Kartoffeln und Viehzucht. Viele Bauernhöfe und Produktionsanlagen sind veraltet oder liegen als (Quasi-)Ruinen brach.

Die Bevölkerungsdichte ist mit nur 46 Einwohnern pro Quadratkilometer fünf Mal niedriger als in Deutschland, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in den zehn größten Städten. Alleine auf Minsk entfallen zwei der 9,5 Millionen Einwohner. Das Land ist also leer, und der Natur gefällt das.

Ein guter Teil der positiven Entwicklung der Weißstorchbestände weltweit ist auf Belarus zurückzuführen. Die größten Bestände an Schwarzstörchen entfallen ebenfalls auf Polen und Belarus. Gefühlt trohnte auf jedem Telefonmast ein Nest, stellenweise stritten sich sogar mehrere Paare um die Brutplätze.

In den unzähligen belarussischen Dörfern ging es eher beschaulich zu. Die Häuser bestanden meist aus Holz und leuchteten oft gelb oder blau, die Straßen waren nur selten geteert. Pferdegespanne waren häufig anzutreffen.

Ob die viele Dorfbrunnen mit der typischen Winde und der Überdachung (wahlweise aus Blech oder Holz) heute noch benutzt werden, konnte ich leider nicht herausfinden.

Die Stromversorgung erfolgte oft über einen kaum zwei Meter hohen Transformator am Ortseingang. Den sicheren Umgang mit Elektrizität scheinen belarussische Kinder wohl eher durch „Learning by Doing“ zu erlernen… 😯

Der ehemalige Reichtum des Landes lässt sich heute oft nur noch an den Ruinen vergangener Tage ablesen. Verschiedene litauische, polnische und belarussische Adelsgeschlechter ließen auch auf dem Land Villen und Paläste errichten. Die meisten davon sind heute bis an den Rand des totalen Zusammenbruches verfallen. Selbst für die Pflege der Denkmaltafeln schien kaum genug Geld vorhanden zu sein.

Allerdings gab es auch immer wieder Überraschungen. Die Fronleichnamskirche in Njaswisch (Касцёл Божага Цела) beispielsweise sah von außen aus wie eine Baustelle, im Inneren zeigte sich allerdings das komplette Gegenteil.

Der Hügel der Ruhmes

Eine Kategorie für sich war der Hügel des Ruhmes (Курган Славы) an der Schnellstraße M2 etwa 30 Kilometer nordöstlich von Minsk. Ab 1967 schütteten Arbeiter hier einen gigantischen Kegel auf, Tausende von Menschen brachten je eine Hand voll Erde aus allen Teilen des Landes. Nach zwei Jahren Arbeit konnte das Monument 1969 pünktlich zum 25. Jahrestag der Befreiung der Stadt Minsk im Zweiten Weltkrieg eingeweiht werden.

An der Spitze des 35 Meter hohen Hügels erhebt sich eine 35 Meter hohe Stele. Zwei Betontreppen führen hinauf, ein mit Reliefs sowjetischer Soldaten und Partisanen sowie einer Inschrift verzierter Betonring schwebt über den Besuchern.

Im Inneren des Rings ist die Aufschrift „Sowjetische Armee, Befreier-Armee – Ruhm!“ (Арміі Савецкай, Арміі-вызваліцельніцы — слава!) zu lesen.

Etwas so Großes und Beeindruckendes hatte ich selten gesehen. Alleine der Aufstieg nach oben dauert einige Minuten. Kein Wunder, dass dieses Monument die Architekten anderer Heldendenkmäler zur Nachahmung inspiriert hat.

Nächstes Mal geht es weiter mit dem Mietwagen durch Belarus, in einen Lost Place tief im Wald. Wer sich schon mal darauf einstimmen möchte, sollte einen Blick in die zugehörige Kategorie werfen. Wie wäre es zum Beispiel mit dem verlassenen sowjetischen Atombunker tief in einem Wald in Moldau? 😉

Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.

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